in Medien

Ein Plädoyer für Biss in der politischen Kommunikation

Rhetorik ist die hohe Kunst, den Zuhörer zu überzeugen. Politiker in Ministerämtern beherrschen diese Kunst in den allermeisten Fällen, sonst würden sie es gar nicht erst ins Amt schaffen. Wer mit Politikern diskutieren will, tut gut daran, sich ebenbürtige rhetorische Fähigkeiten anzueignen. Sonst geht die Sache schief. Wie in dieser Woche zweimal geschehen.
Wer das Zeit-Gespräch zwischen Ursula von der Leyen und Franziska Heine unvoreingenommen liest, dem fallen sofort die sehr ungleichen Gesprächsanteile auf. Die Ministerin redet mehr als die Petentin und hat dadurch die Möglichkeit, ihre Argumentation ausführlich darzulegen. Sie verwendet packende, emotional gefärbte Argumente und zitiert umfangreiche Quellen für ihre Position.
Was daran nicht stimmt oder auch nur einseitig argumentiert ist, müsste der des Themas unkundige Zeit-Leser von Franziska Heine erfahren. Das geschieht jedoch nur an wenigen Stellen, viele Argumente der Ministerin lässt sie unwidersprochen stehen. Sie ist praktisch permanent in der Defensive, verteidigt ihre Position aber oft nur kurz angebunden, ohne die eigene Argumentation aufzubauen. Die detaillierte Widerlegung findet wieder nur ex post in irgendwelchen Blogs statt, die der Zeit-Leser im Zweifel nicht liest.
So geht das nicht! Die Argumente müssen auf den Tisch. Sich wie ein Mathematiker auf ein paar knapp gehaltene Aussagen zurückzuziehen und die logischen Schlussfolgerungen daraus dem geneigten Leser zu überlassen, schafft nur unnötigen Raum für die Kontrahentin, der eine solch noble Zurückhaltung schon qua Amt wesensfremd sein muss.
Mir fehlt da schlichtweg der Biss. Felix hingegen findet Franziska Heine genau richtig so und wünscht ihr eine ebenso zahnlose Ministerin als Gesprächspartnerin:

warum eigentlich gelten die normalen anstandregeln in der politik nicht? warum gilt derjenige, der am besten taktiert, rhetorisch am elegantesten lügt oder agitiert und sich bei seinen schweinereien nicht erwischen lässt, als guter politiker und nicht derjenige der nicht auf tricks, rhetorisches stroh- und störfeuer angewiesen ist, sondern auf die kraft seiner argumente vertraut? warum zielt die politik fast immer auf die diskreditierung ihrer gegner ab, statt sie mit argumenten niederzuringen?

Weil es ihnen ihre Gegner zu einfach machen. Diese Art von Politikern können sich nur deshalb durchsetzen, weil ihre Gegner zu schwach sind. Das Thema Kinderpornographie ist hoch emotional und sehr gefährlich für jede politische Debatte. Dagegen anzukommen kann nur mit Emotion gelingen. Emotionale Argumente müssen auf der gleichen Ebene entkräftet werden.
Für den politischen Erfolg braucht es drei Dinge: eine Strategie auf mittlere bis längere Sicht, eine Taktik auf kürzere Sicht und eine Rhetorik für die direkte Auseinandersetzung. Ursula von der Leyen hat das vorbildlich umgesetzt: das Thema für sich entdeckt, ihre Partei hinter sich gebracht, den Koalitionspartner nach allen Regeln der Kunst vorgeführt und schließlich die politischen Gegner marginalisiert.
Die Verteidiger des Internets und des Rechtsstaats hatten diesem Feldzug von Anfang an nichts entgegenzusetzen – keine Strategie, keine Taktik, keine Rhetorik. Das ist bedauerlich. Jedoch sind die hohe mediale Aufmerksamkeit der letzten Wochen und die starke Politisierung im Netz nicht die schlechtesten Voraussetzungen, um wieder aus der Sackgasse herauszukommen. Man muss es nur tun.