Burdas Teilungsproblem

Hubert Burda wird schleichend enteignet. Von Google. Die verlinken auf die sauber recherchierten Artikel seiner Journalisten und helfen Lesern, diese zu finden. Das kann Google aber nur, meint Burda, weil seine Journalisten diese Artikel schreiben – und deshalb solle Google gefälligst dafür bezahlen. Klingt logisch.
In etwa so logisch, wie auf unabhängige Versicherungsmakler zu schimpfen, weil sie ihren Kunden Versicherungen verkaufen, die Versicherungskonzerne anbieten. Oder auf Autohändler zu schimpfen, weil sie Geld damit verdienen, Autos zu verkaufen, die ganz jemand anderes hergestellt hat.
Google verdient sein Geld damit, Nutzern zu sagen, wo sie finden was sie suchen. Burda lebt davon, Lesern das zu bieten was sie suchen. Google würde ohne Burda weniger verdienen, weil es weniger zu finden gäbe. Burda würde ohne Google weniger verdienen, weil weniger finden würden, was Burda bietet.
Klingt nicht gerade danach, als ob Burda von Google widerrechtlich ausgebeutet würde. Hier hilft kaum der von Burda gerufene Gesetzgeber, sondern eher die Spieltheorie: der Volkswirt nennt das Teilungsproblem.

Ein Plädoyer für Biss in der politischen Kommunikation

Rhetorik ist die hohe Kunst, den Zuhörer zu überzeugen. Politiker in Ministerämtern beherrschen diese Kunst in den allermeisten Fällen, sonst würden sie es gar nicht erst ins Amt schaffen. Wer mit Politikern diskutieren will, tut gut daran, sich ebenbürtige rhetorische Fähigkeiten anzueignen. Sonst geht die Sache schief. Wie in dieser Woche zweimal geschehen.
Wer das Zeit-Gespräch zwischen Ursula von der Leyen und Franziska Heine unvoreingenommen liest, dem fallen sofort die sehr ungleichen Gesprächsanteile auf. Die Ministerin redet mehr als die Petentin und hat dadurch die Möglichkeit, ihre Argumentation ausführlich darzulegen. Sie verwendet packende, emotional gefärbte Argumente und zitiert umfangreiche Quellen für ihre Position.
Was daran nicht stimmt oder auch nur einseitig argumentiert ist, müsste der des Themas unkundige Zeit-Leser von Franziska Heine erfahren. Das geschieht jedoch nur an wenigen Stellen, viele Argumente der Ministerin lässt sie unwidersprochen stehen. Sie ist praktisch permanent in der Defensive, verteidigt ihre Position aber oft nur kurz angebunden, ohne die eigene Argumentation aufzubauen. Die detaillierte Widerlegung findet wieder nur ex post in irgendwelchen Blogs statt, die der Zeit-Leser im Zweifel nicht liest.
So geht das nicht! Die Argumente müssen auf den Tisch. Sich wie ein Mathematiker auf ein paar knapp gehaltene Aussagen zurückzuziehen und die logischen Schlussfolgerungen daraus dem geneigten Leser zu überlassen, schafft nur unnötigen Raum für die Kontrahentin, der eine solch noble Zurückhaltung schon qua Amt wesensfremd sein muss.
Mir fehlt da schlichtweg der Biss. Felix hingegen findet Franziska Heine genau richtig so und wünscht ihr eine ebenso zahnlose Ministerin als Gesprächspartnerin:

warum eigentlich gelten die normalen anstandregeln in der politik nicht? warum gilt derjenige, der am besten taktiert, rhetorisch am elegantesten lügt oder agitiert und sich bei seinen schweinereien nicht erwischen lässt, als guter politiker und nicht derjenige der nicht auf tricks, rhetorisches stroh- und störfeuer angewiesen ist, sondern auf die kraft seiner argumente vertraut? warum zielt die politik fast immer auf die diskreditierung ihrer gegner ab, statt sie mit argumenten niederzuringen?

Weil es ihnen ihre Gegner zu einfach machen. Diese Art von Politikern können sich nur deshalb durchsetzen, weil ihre Gegner zu schwach sind. Das Thema Kinderpornographie ist hoch emotional und sehr gefährlich für jede politische Debatte. Dagegen anzukommen kann nur mit Emotion gelingen. Emotionale Argumente müssen auf der gleichen Ebene entkräftet werden.
Für den politischen Erfolg braucht es drei Dinge: eine Strategie auf mittlere bis längere Sicht, eine Taktik auf kürzere Sicht und eine Rhetorik für die direkte Auseinandersetzung. Ursula von der Leyen hat das vorbildlich umgesetzt: das Thema für sich entdeckt, ihre Partei hinter sich gebracht, den Koalitionspartner nach allen Regeln der Kunst vorgeführt und schließlich die politischen Gegner marginalisiert.
Die Verteidiger des Internets und des Rechtsstaats hatten diesem Feldzug von Anfang an nichts entgegenzusetzen – keine Strategie, keine Taktik, keine Rhetorik. Das ist bedauerlich. Jedoch sind die hohe mediale Aufmerksamkeit der letzten Wochen und die starke Politisierung im Netz nicht die schlechtesten Voraussetzungen, um wieder aus der Sackgasse herauszukommen. Man muss es nur tun.

Piraten und Petenten nicht auf Augenhöhe mit Zensursula

Wer verstehen will, warum Gesetze wie das Zensursula-Gesetz auch gegen den Widerstand von über 130.000 Unterzeichnern der Petition gegen Internetsperren beschlossen werden, der hat in dieser Woche zwei Verständnishilfen bekommen. Am Montag stellte sich Dirk Hillbrecht, immerhin der Vorsitzende der Piratenpartei, einer Diskussion mit dem alten CDU-Fuchs Rupert Scholz. Und bekam kräftig Prügel.
Heute nun druckt die Zeit ein Gespräch zwischen Ursula „Zensursula“ von der Leyen höchstselbst und Franziska Heine, der Initiatorin jener Petition. Sie war der ministeriellen Rhetorik nicht gewachsen. Und ging sang- und klanglos unter.
Es hilft nichts: Recht zu haben (oder das wenigstens zu meinen) und die vermeintlich besseren Argumente genügt nicht. Piraten und Petenten müssen auch rhetorisch auf Augenhöhe mit Politikern diskutieren können. Wenn sie aus der Nische herauswollen. Beim derzeitigen Zustand ihrer politischen Rhetorik ist sonst kein Blumentopf zu holen.

Deutschland ist kein rechtsfreier Raum

Hin und wieder verschicken Menschen in Deutschland Morddrohungen. Mit der Post. Das Schlimmste: die Täter vergessen immer öfter, diese Briefe mit einem korrekten Absender zu versehen.
Doch Deutschland ist kein rechtsfreier Raum – also werden ab sofort jeden Morgen alle Briefe vom örtlichen Polizeipräsidenten untersucht. Wenn er etwas entdeckt, was er für eine Morddrohung hält, dann verbrennt er den Brief. Den Absender ermitteln kann er nicht, das ist zu schwierig. Den Empfänger informieren lohnt nicht, denn Morddrohungen werden meistens sowieso nicht in die Tat umgesetzt und beunruhigen will man ja auch niemanden. Einmal im Jahr darf ihm bei der Kontrolle der Briefe ein Richter zusehen, wir leben ja schließlich in einem Rechtsstaat.
Absurd? So etwas gibt es in einem freien Land nicht? Stimmt – aber sicher nicht weil kein Politiker diese Idee gehabt hätte, sondern weil es schlicht und einfach zu teuer wäre, jeden Morgen sämtliche Briefe zu lesen. Aber in Berlin ist man nicht dumm: es gibt da ja das Internet, da ist alles preiswerter und einfacher – endlich kann diese geniale Idee in die Tat umgesetzt werden.
Ob es weniger Morddrohungen gibt? Nein. Die werden jetzt gefaxt. Ob die Menschen es toll finden, wenn ihre Briefe jetzt gelesen werden? Ja. Und wer es nicht toll findet, der ist ein böser Mensch. Oder wenigstens jemand, der böse Menschen gut findet.