Fünf Mythen über Facebook und StudiVZ

Dieser Tage werden jede Menge Fakten über Facebook und StudiVZ bekannt. Mark Zuckerberg selbst sprach gestern über den für 2008 geplanten Umsatz (300 bis 350 Mio. US-Dollar), das erwartete Ergebnis (50 Mio. EBITDA) und die vorgesehenen Investitionen (200 Mio.). Anlass genug, einige der gängigen Mythen auf ihren Realitätsgehalt hin zu untersuchen.

  1. Ist Facebook 15 Mrd. US-Dollar wert? Schon möglich, aber worauf stützt sich diese Bewertung? Microsoft hat im Oktober 2007 zwar zu dieser Bewertung einen Minderheitsanteil erworben, wurde aber gleichzeitig exklusiver Werbevermarktungspartner für Facebook, und zwar weltweit. Diese Tatsache dürfte bei der Preisfindung eine Rolle gespielt haben.

    Der Handel sieht in etwa so aus: Microsoft stellt große Teile des für die weitere Expansion nötigen Kapitals bereit und sorgt gleichzeitig für zusätzliche Einnahmen, an denen Microsoft wiederum direkt (aus der Vermarktung) und indirekt (als Miteigentümer von Facebook) partizipiert. Ob sich das Geschäft für Microsoft lohnt, hängt viel stärker von den direkten Mittelrückflüssen ab als von den indirekten.

    Mit anderen Worten: Die Bewertung von Facebook kann Microsoft weitgehend kalt lassen. Als exklusiver Werbevermarktungspartner sitzt Steve Ballmer am Drücker. Alles andere ist eine Wette für den Fall eines Börsengangs, der nicht vor 2009 zu erwarten ist. Hier winken Microsoft weitere Erlöschancen. Ob Facebook also 15 Mrd. US-Dollar wert ist, wird sich erst beim Börsengang zeigen. In diesem Punkt hat WPP-Chef Martin Sorrell völlig Recht.

  2. Mögen die Nutzer keine Werbung? Schon möglich, aber welche Rolle spielt das? Es gibt in der ganzen Medienlandschaft ja nur zweieinhalb Finanzierungsmodelle: Werbung oder Abonnements, letztere auch in Form von Gebühren für öffentlich-rechtliche Anstalten. Im Web hat sich das Abomodell bis jetzt nur in Nischen (Xing, Singlebörsen, Porno) durchsetzen können. Bleibt also Werbung als Geschäftsmodell, und dagegen ist in einer kapitalistischen Marktwirtschaft auch nur wenig einzuwenden.

    Die Nutzer werden im Zweifel mit den Füßen abstimmen, aber mir ist bis jetzt kein Fall bekannt, in dem dies tatsächlich zu Schwierigkeiten geführt hätte. Der übliche ZwergenNutzeraufstand anlässlich der Einführung irgendwelcher neuer Features gehört zum Ritual und muss durchgestanden werden. Wir haben ihn bei der Einführung des Newsfeed gesehen (bei Facebook wie auch bei Xing) oder bei der Einführung neuer Werbeformen, -formate und -bedingungen (bei Facebook, StudiVZ und Xing).

    Am Ende wird etwas modifiziert, reformuliert, hier und da ein neuer Konfigurationsknopf eingeführt oder die Voreinstellungen angepasst – und am Ende läuft die Sache. Plattformbetreiber haben nur die Wahl, sich etwas geschickter (Facebook), weniger geschickt (Xing) oder total ungeschickt (StudiVZ) anzustellen. Der Rest wird im weltweiten Dialog entschieden, und die Presse hat was zu schreiben. In diesem Punkt hat GWP-Chef Harald Wahls völlig Recht, wenn er in Horizont 5/2008 feststellt:

    Die Frage ist, wie groß die Protestwelle der Mitglieder wirklich war. Kritik an einem so großen Portal, das Studenten als Zielgruppe hat, ist anscheinend vor allem für die Journalisten interessant.

  3. Erfindet Facebook die Werbung neu? Schon möglich, aber bislang spielt das keine große Rolle. Facebook Beacon hat seine Bedeutung innerhalb der Eigenvermarktung von Facebook. Microsoft setzt für die Vermarktung zunächst einmal auf herkömmliche Instrumente. Targeting wird erst nach dem Abschluss der aQuantive-Übernahme durch Microsoft relevant, wenn Atlas zum Einsatz kommt. Wie ernst es Microsoft mit dem Thema Webwerbung ist, zeigt nach aQuantive und Facebook der dritte Schritt – Yahoo.

    Google ist so groß und so wertvoll geworden, weil Google die Onlinewerbung um eine bis dahin praktisch unbekannte Dimension erweitert hat – höchst zielgerichtet eingespielte Textanzeigen. Werbung wird besser, je genauer sie gezielt wird. Perfekt gezielte Werbung ist gar keine Werbung mehr, sondern Information.

    Facebook könnte die Onlinewerbung um eine weitere Dimension erweitern, wie auch immer das im Detail aussehen wird. Auf diese Möglichkeit stützt sich die oben diskutierte Unternehmensbewertung. Da sie die Zukunft betrifft, bleibt uns nur abzuwarten, wie weit Facebook kommt.

  4. Wird das deutschsprachige Facebook zuerst StudiVZ angreifen? Schon möglich, aber wozu sollte das gut sein? Facebook ist längst viel breiter positioniert als zu jener Zeit, da StudiVZ eine billige Kopie vom großen Original zog. Studenten stehen nicht mehr im Vordergrund. Erst recht nicht in Deutschland, da unter den 600.000 hiesigen Nutzern nur relativ wenig Studenten zu finden sind. Und siehe da: Facebook setzt vor allem auf die vielen viralen Effekte seiner Plattform. (Mit Viren kenne ich mich jetzt aus, die können ganz schon hartnäckig sein.)

  5. Wird Facebook StudiVZ kaufen? Schon möglich, aber wozu sollte das gut sein? Um die Investition Holtzbrincks am Ende doch noch mit einem schönen Ausstieg zu krönen? Um eine Zielgruppe an Land zu ziehen, die Facebook gar nicht braucht? Um eine Plattform zu übernehmen, die sich nach allen Regeln der Kunst selbst demontiert hat? Um Geld auszugeben, dass Facebook anderswo viel besser investieren kann?

Blogvermarktung radikal

DauerWerbeBlog
2007 war auch das Jahr der werblichen Vermarktung von Blogs (und der heftigen, teils hassbefeuerten Grundsatzdebatten darüber). Im April ging adical an den Start, das Blogwerbenetzwerk von Johnny „Spreeblick“ Haeusler und Sascha „Wir nennen es Arbeit“ Lobo. Mit dem Namen adical assoziiere ich sofort den neuen Claim von SinnerSchrader. Schon einen Monat nach dem Start verstummte adical wieder, ohne indes die Arbeit einzustellen.
Ende August trat Jens Kunath mit Ad 2.0 an, nicht nur auf die Vermarktung von Blogs fokussiert, sondern auf Web-2.0-Startups aller Art. Anfang Januar erklärte er den vorläufigen Rückzug.
Robert Basic begann im Herbst mit der Selbstvermarktung seines Blogs, das mittlerweile die von adical vermarkteten Bildblog und Spreeblick in den Deutschen Blogcharts hinter sich lassen konnte und unangefochten auf Platz 1 residiert.
Die Blogvermarktung im deutschsprachigen Raum – zu nennen wäre auch noch Trigami – leidet allen Bemühungen zum Trotz vor allem unter den erheblich zu geringen Reichweiten der allermeisten Blogs. Was jetzt folgt, ist ein radikal anderer Ansatz.
Oliver Gassner und Stefan „jovelstefan“ Heß gehen in der Nacht zu Montag mit dem Dauerwerbeblog ans Netz. Ihre Devise lautet: 99 % Werbung – 1 % Eigenwerbung. In der Charta heißt es:

DauerWerbeBlog.de (dwb) ist eine Dauerwerbesendung im Netz. Als Reaktion auf die gebotene Trennung zwischen redaktionellen und werbenden Inhalten, haben wir uns gedacht: „Gut, trennen wir!“ Hier gibt es nur Werbung.

Im Dauerwerbeblog ist eine notwendige, unaufhaltsame, heftig und kontrovers diskutierte Entwicklung einmal konsequent auf die Spitze getrieben und zuende gedacht – die Kommerzialisierung des Mediums Blog. Michael „TechCrunch“ Arrington ist schließlich damit reich geworden.
Die Idee entstand schon auf dem Barcamp Cologne 2 im Sommer. Und einige Wochen später im Ottenser Café Knuth hatte ich Gelegenheit, mir die Idee aus erster Hand erläutern zu lassen. Jetzt ist es soweit: Das Dauerwerbeblog ist fast fertig, der Start steht unmittelbar bevor.
Oliver Gassner muss eine Familie ernähren und ist sich ausweislich seiner Autobiografie für kaum einen Job zu schade. Stefan Heß ist Berater bei SinnerSchrader und arbeitet für Projekte wie carmondo oder Stockflock. Als Autor auf dem Fischmarkt befasste er sich zuletzt intensiv mit Sportcommunities.

Es weihnachtet sehr

Im Büro nebenan stapeln sich die Weihnachtskarten zu hunderten. Die ganze Agentur ist dieser Tage im Unterschriftenfieber. Ja, richtig gehört: Wir verschicken Karten aus Papier. Und ich darf noch nicht verraten, wie sie aussehen.
Die kreativste klassische Werbeagentur hingegen versendet Mails. Aber nicht einfach so. Sondern mit Stil und mit Segen.

Scholz & Volkmer hat sich in diesem Jahr die große Scholz & Volkszählung ausgedacht. Wer im Besitz eines Codes ist, kann über die Website einen Mitarbeiter in Echtzeit durch die Agentur steuern und mit Hilfe eines Scanners mehr über die Kollegen im Hause erfahren. Schöne Idee, gut umgesetzt! [via]
Was machen die anderen? Hinweise & Links bitte in die Kommentare!

Running Gag

Als Nike im April seinen Laufschuh-Werbeetat von Wieden+Kennedy zu Crispin Porter + Bogusky verschob, war die Aufregung in der Werbewelt groß. Nike arbeitet seit Jahrzehnten mit Wieden & Kennedy, und je seltener ein Etat die Agentur wechselt, umso wichtiger das Ereignis.
Nun kommt die erste Arbeit der neuen Agentur auf den Bildschirm, und das erste Echo ist eher gemischt. Hier der TV-Spot:

Einer der wesentlichen Gründe für den Wechsel war seinerzeit die Unzufriedenheit mit den Onlineaktivitäten. Dies betraf nicht die Websites, um die sich auch weiterhin R/GA kümmert, sondern die übrige Markenkommunikation im Web. Was Crispin Porter + Bogusky hier vorhaben, darüber gibt der TV-Spot noch keinen Aufschluss.
Der Spot bewirbt Nike+, die geniale Kombination aus Laufschuh und iPod, die dieses Jahr in Cannes völlig zu Recht mit einem Cyber Lion ausgezeichnet wurde.

Am Ende der bekannten Werbewelt

Am Mittwoch vor zwei Wochen saßen unser Beratungschef Laurent Burdin und meine Wenigkeit im schicken Konferenzraum von Draftfcb an der Außenalster mit deren Chef Peter John Mahrenholz und den beiden w&v-Redakteuren Peter Hammer und Ulrike Schäfer. Das Münchner Werbefachblatt hatte Laurent und Peter John zum Disput geladen über die Zukunft der Werbung.
Einen Tag zuvor hatte die w&v in ihrer Onlineausgabe über eine Studie von Booz, Allen, Hamilton berichtet, der zufolge Kaufentscheidungen immer weniger von klassischer Werbung beeinflusst werden:

Nur noch zu fünf Prozent beeinflusst Werbung im Fernsehen oder in den Printmedien, ob wir ein Produkt oder eine Dienstleistung kaufen oder nicht. Im Vergleich dazu legt das Internet als Einflussgeber zu: Zehn Prozent lassen sich durch das Web leiten. Das bedeutet, dass nach dieser Studie, das Web doppelt soviel Einfluss hätte wie Print- und TV-Werbung.

Dementsprechend vertrat Laurent im Streitgespräch die These, dass die klassische Werbung immer mehr an Relevanz verliert. Der Grund: Die Konsumenten wollen nicht ungefragt unterbrochen werden. Sie verbannen unerwünschte Werbung aus ihrem Alltag.
Gleichzeitig sind Markennamen die häufigsten Suchbegriffe im Netz. Der interaktive Konsument versteckt sich also vor der Markenkommunikation in den klassischen Medien und sucht gleichzeitig den Kontakt zur Marke im Netz. Die Konsumenten haben sich für das Internet entschieden.
Diese Entscheidung bleibt nicht ohne Konsequenzen für die Werbung. Mittelfristig wird sich daher auch die Rolle der Interaktivagenturen verändern – zu Lasten der klassischen Agenturen, von denen viele mit dem Siegeszug der TV-Werbung groß und stark geworden sind.
Die Debatte mit Mahrenholz war spannend und interessant. Sie ist heute wird demnächst in Heft 47/07 der w&v nachzulesen sein. Der Draftfcb-Chef argumentierte aus der Logik einer Netzwerkagentur, die auf die Herausforderung durch das Netz vollkommen anders reagiert: Sie legt ihre Ressourcen zusammen. Und damit auch die Etats ihrer Kunden.
Draftfcb will alle Kanäle gleichermaßen gut bedienen und kreative Ideen über unterschiedliche Kanäle spielen. Statt Spezialagenturen für unterschiedliche Medien zu beschäftigen sollen werbende Unternehmen mit einer Agentur (lies: Draftfcb) auskommen.
Das Problem ist nur: Es gibt keine medienneutralen Ideen. Jede kreative Idee ist an ein Medium gebunden. Ein TV-Spot ist keine Printanzeige ist keine Onlinekampagne und lässt sich nicht 1:1 übertragen. Und der Konsument will auch gar nicht über unzählige Kanäle mit Werbung beschossen werden.
Zu den Schwierigkeiten in einem solchen Streitgespräch gehören die unterschiedlichen Ebenen, auf denen wir uns bewegen. Draftfcb macht Werbung. SinnerSchrader ist eine Interaktivagentur. Wir machen auch Onlinewerbung, aber das ist nur ein Teil unseres Geschäfts.
Ich habe den Konferenzraum verlassen mit der Überzeugung, dass die klassische Werbung ihrem schleichenden Bedeutungsverlust wenig entgegenzusetzen hat. Sie wird weiterhin existieren, aber mit stagnierenden Budgets auskommen müssen und ihre Führungsrolle einbüßen. It’s The End of Advertising as We Know It.
Die Grabgesänge sind vielleicht verfrüht, aber die Trends sind auf unserer Seite: Die Reichweite des Mediums Internet wächst, die Nutzungsdauer nimmt zu, die Umsätze mit Onlinewerbung und E-Commerce steigen. Und damit auch der Anteil am Werbekuchen und am Handelsumsatz. Das alles nicht erst seit gestern, sondern stabil seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre.
Das Medium Internet ist etabliert. Jetzt ist die Frage, wie die Agentur für dieses Medium aufgestellt sein muss. Unsere Antwort: Der Konsument ist interaktiv, also muss es auch die Agentur sein.