Kanal- und Konsumentenkompetenz

Stephan Randler von iBusiness hat neulich drei Fragen an Matthias Schrader gestellt. Hier sind die Antworten.

Wo liegen Ihrer Meinung nach die Kernkompetenzen einer klassischen Internetagentur heute?

Interactive-Agenturen besitzen zwei Kernkompetenzen: Erstens kennen Sie das Konsumentenverhalten in den interaktiven Kanälen. Die Konsumenten haben sich entschieden, Marken und Produkte zu einem signifikanten Anteil über das Internet zu erleben. Die digitalen Berühungspunkte zwischen Unternehmen und Konsumenten werden daher immer bedeutender und prägen die Marke in der Konsumentenwahrnehmung immer stärker. Marken brauchen deshalb Agenturpartner, die ein tiefes Verständnis für das heutige Konsumentenverhalten besitzen und die markenrelevanten Implikationen von Online-Aktivitäten sicher beurteilen können.

Die zweite wesentliche Kompetenz liegt in der Fähigkeit, komplexe Kommunikations-, Service- und Transaktionsplattformen für Unternehmen aufzubauen. Wir verwenden hierfür auch gerne das Bild, dass wir das Marketing-Betriebssystem unserer Kunden kreieren, auf dem von der Kampagnenkommunikation über die Interessentengewinnung und den Kaufabschluss bis hin zum Dialog und der Analyse sowie dem Controlling alle Marketingprozesse stattfinden können.

Welche Kompetenzen gewinnen an Bedeutung, welche verlieren an Bedeutung?

Das Thema Internet gewinnt aktuell bei Unternehmen wieder rasant an Relevanz. Für Interactive-Agenturen ist es deshalb wichtig, dieser wachsenden Bedeutung auf der Beratungsseite adäquat begegnen zu können.

Wie können Online-Agenturen sich gegenüber klassischen Agenturen positionieren?

Interactive-Agenturen sind per se gegenüber Klassikagenturen hinreichend kontraststark positioniert – aufgrund ihrer Kanal- und Konsumentenkompetenz. Wir müssen als Onliner allerdings lernen, wie wir zusammen mit unseren Agenturkollegen aus der Klassik kommunikative Brücken bauen, die heute noch oft erlebbare Brüche im kanalübergreifenden Kundenerlebnis schließen.

Eine Marketing-Seuche

Ausgerechnet Microsoft bringt die zerrüttete Beziehung zwischen Konsumenten und Werbern mal so richtig auf den Punkt. Das allein ist schon eine schöne Pointe. Der Spot enthält eine tiefe Wahrheit (und ob die am Ende versprochene Lösung tatsächlich eine ist, mag ebenso bezweifelt werden wie die tatsächliche Werbewirkung solcher Spots).

„Ist das Internet eine Marketing-Seuche?“ Mit dieser plakativen, an einen berühmten Kommentar von Stefan Kornelius in der Süddeutschen gemahnenden Frage befasst sich der kommende MedienMittwoch in Frankfurt am Main. Leicht apokalyptisch klingt die Veranstaltungsankündigung:

Die digitale Vernetzung greift unaufhaltsam Raum und dringt in alle Sphären menschlichen Lebens vor. Gerade das Marketing wird im Moment intensiv durch die Digitalisierung bewegt, der Zuwachs vieler Agenturmarken wird ausschließlich durch das Online-Geschäft erwirtschaftet.

Einige Apologeten der digitalen Wirtschaft, wie neuerdings auch Publicis-CEO Maurice Lévy, stimmen bereits den Abgesang auf die klassischen Medien an und künden vom Lead digitaler Instrumente für die Markenführung. Die Menschen sind an Erlebnissen, Mehrwerten und Convenience interessiert.

Der MedienMittwoch fragt: Bietet die digitale Konvergenz dem Konsumenten ein besseres Markenerlebnis? Wie können Marken und Dienstleistungen die Chancen einer konvergierenden Medienwelt nutzen?

Tatsächlich sind inzwischen die Konsumenten die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung, nicht die Technologie und auch nicht Marken und Unternehmen. Die Konsumenten haben sich für das Internet als den Ort entschieden, an dem sie Marken und Dienstleistungen erleben wollen.

Deshalb ist der Konsument der Revolutionär für das Marketing, nicht das Internet. Mit dem weltweiten Netz ist dem Konsumenten nur ein Instrument zur Ausübung seiner Macht in die Hand gegeben. Zugegeben, ein starkes.

Und tatsächlich wird das Marketing im Moment intensiv durch die Digitalisierung bewegt. Kein Wunder, geht es doch im Marketing um die Bedürfnisse potenzieller Kunden. Nie war es so einfach wie heute, diese Bedürfnisse zu kennen – die Konsumenten sagen einfach selbst, was sie wollen.

Auch Werber alter Schule wie Bernd M. Michael lassen sich von diesem Zauber beeindrucken:

Bisher hat das Marketing ab und zu mal über Zuschriften oder Anrufe eine Reaktion von den Konsumenten erhalten. In der Mehrzahl Reklamationen. Heute öffnet sich dieser Bereich auf ein wesentlich größeres Echo im Guten wie im Bösen und gibt größere Entscheidungssicherheit, wenn man diese Konsumentenreaktionen regelmäßig und systematisch auswertet. Und ich kenne keinen Produktmanager, der sich diesem Thema verschließt. Im Gegenteil, irgendwann kommt die interessante Frage auf: Wieviel eigene Marktforschung muss ich überhaupt noch machen, um gesicherte Ergebnisse aus dem Volk zu hören?

Doch es geht um mehr als nur um Marktforschung. Es geht um Beziehungen zwischen Unternehmen und Konsumenten – und um Beziehungen, die der Konsument kontrolliert. Dieser Kontrollverlust ist es, der den Unternehmen den Schweiß auf die Stirn treibt.

Für den digitalen Dialog mit dem Konsumenten zahlen die Unternehmen einen hohen Preis. Sie müssen nicht nur zuhören (eine Fähigkeit, die gern in externe Telefonzentralen ausgelagert und dort stark reglementiert wurde), sondern auch entsprechend handeln, bei Strafe des Verlusts von Kunden und Marktanteilen.

Sie müssen sich für ihre Kundenbeziehungen systematisch öffnen, oder – technisch gesprochen – die passenden Schnittstellen bereitstellen. Mit einem Wort: Sie müssen beziehungsfähig werden.

Trotzdem sind Unternehmen am Ende die Gewinner. Denn schließlich sind sie es, die begehrte Produkte herstellen und nachgefragte Dienste leisten. Zu fürchten ist weiterhin nur der Wettbewerber, der Besseres bietet, und dem sich der flüchtige Konsument schneller zuwenden könnte als gedacht.

Laurent Burdin, Geschäftsführer Beratung bei SinnerSchrader, diskutiert am Mittwoch, 23. Mai, um 17 Uhr in der Halle 8 der Messe Frankfurt mit Hansjörg Zimmermann (Das Goldene Vlies), Florian Ruckert (IP Deutschland) und Frank Vahldiek (Vodafone).

Wackelnde Hackordnung

Auf solche Texte haben wir doch jahrelang gewartet:

Online-Marketing legt rasant zu. Zahlreiche Markenartikler schichten ihre Marketingetats in Richtung digitales Marketing um – zu Lasten der klassischen Fernsehspots, Radiowerbung und Printanzeigen. Das hat Auswirkungen auf die Hackordnung der Werbeagenturen.

Und auf die Pitches. Dickjan Poppema, Chef von BBDO Düsseldorf, beobachtet laut Handelsblatt:

Früher seien es immer die gleichen Leute gewesen, die zu einer Ausschreibung kamen. Heute sei das anders: Da säßen Internetagenturen, PR-Leute und – wie kürzlich im Fall einer Baumarktkette – sogar eine Architektengruppe, die sich mit Kommunikationsexperten verstärkt hatte, mit am Tisch.

Was heißt das dann, weitergedacht? Werbeagenturen, PR-Agenturen, Internetagenturen – künftig alles eine Mischpoke? Vermutlich nicht. Denn dann wären wir wieder bei den längst gescheiterten nicht übermäßig erfolgreichen 360-Grad-Ansätzen.

Der Konsument will aber nicht mit der gleichen Idee über immer mehr Kanäle zugeballert werden. Er hat sich längst für zwei Berührungspunkte mit Marken, Produkten und Unternehmen entschieden: für das Internet – und für den stationären Handel.

Folglich sind Online-Marketing (und alles, was dazugehört) und Retail (zum Beispiel Flagship-Stores) die beiden Wachstumsfelder der nächsten Jahre, Offline-Marketing hingegen eher nicht.

Schreiben wir für Google?

Sam Zell, vor kurzem Eigentümer einer Reihe großer US-Tageszeitungen geworden, hat mit einer kleinen Bemerkung für große Erregung gesorgt:

„If all of the newspapers in America did not allow Google to steal their content, how profitable would Google be?“ Zell said during the question period after his speech. „Not very.“

Dagegen ist leicht eingewendet, dass Google News nur Überschriften und Textauszüge verwendet und ansonsten direkte Links zur Quelle setzt. Von Diebstahl keine Rede.

Aber: Wenn Google tatsächlich das Betriebssystem der Werbung baut (und das hat Eric Schmidt nun bestätigt), dann muss die Frage vielleicht etwas anders gestellt werden:

It could be that Zell is brilliant, and is saying something that simplifies the truth to make a bigger point, and he doesn’t mind if you think he’s inept if some people get the bigger picture — which is he thinks of the Internet and Google as being the same thing, and you know what — I bet a lot of other people do too, and they have a point. Like the public radio stations, maybe we’re fooling ourselves if we think we’re not writing for Google, as they are fooling themselves into thinking they’re not creating for NPR. We want to cling to our theory that each of us is independent of the others, but what if he’s right, and it’s us vs them.

„Für wen schreiben wir? Und warum?“, fragt Doc Searls:

All kinds of deals may be possible between news organizations and Google. Some conceivably could alter the simple matter of who we’re writing for. It might not just be ourselves.
If Web = Google comes to look like a fact for a critical mass of people and organizations, then we will all become part of the same commercial ecosystem: one controlled by a single company.