Auf Kosten der klassischen Agenturen

Es kommt derzeit wirklich knüppeldick für die klassischen Werbeagenturen. Marketingentscheider sehen deren Zukunft skeptisch, berichtet Horizont über die Ergebnisse einer internationalen Untersuchung der Unternehmensberatung Accenture. Für diese Untersuchtung wurden weltweit Experten aus Unternehmen, Medien, Agenturen und Technologie-Firmen befragt, welche Konsequenzen sie vom Übergang in die digitale Kommunikationswelt erwarten.

Danach sehen 77 Prozent die Zukunft der Werbung auf den Bildschirmen von TV, Computer und Mobiltelefon. 43 Prozent der Manager sind der Überzeugung, dass Agenturen in diesem Prozess am meisten zu verlieren haben. Jeder Dritte sieht die TV-Sender auf der Verliererseite. Als Gewinner der Entwicklung benennen 46 Prozent die Online-Marktforschungsunternehmen.

Schlechte Nachrichten aber auch für die Interaktivagenturen:

Lediglich 19 Prozent sind der Meinung, dass Internet-Spezialagenturen am meisten erwarten können. Offensichtlich sehen die wenigsten Entscheider Agenturen ausreichend fit für die kommende Entwicklung. Lediglich 29 Prozent der Befragten halten die Kommunikationswirtschaft in technologischer und kultureller Hinsicht ausreichend gewappnet für die kommenden „radikalen Veränderungsprozesse“.

Was könnte besser als Werbung sein?

It's all about relationships
Über die Zukunft der Werbung toben dieser Tage heftige Debatten allenthalben. Facebook-Gründer Marc Zuckerberg hat mit der neuen Facebook-Werbeplattform einen nicht unbescheidenen Anspruch erhoben:

For the last hundred years media has been pushed out to people, but now marketers are going to be a part of the conversation.

Der Economist befasst sich mit den Details dieser Transformation, so es denn eine ist. Falsche Frage, meint Doc Searls, einer der Autoren des Cluetrain Manifesto. Die richtige Frage wäre demnach:

Can we equip customers to become independent of sellers and their controlling intentions — Including the unwanted crap that constitutes far too much of the world’s advertising?

Was er dann skizziert, kam mir irgendwie bekannt vor:

The problem we still have is a conceptual default. We think, talk and design „solutions“ that work entirely on the sell side. We have CRM (customer relationship management) systems that are less about helping real customers than about „managing“ them. What we need is VRM (vendor relationship management), by which customers get to manage vendors as well. With CRM+VRM, both sides can truly relate on mutually beneficial terms.

Until CRM meets VRM and starts working out real relationships, we’ll keep thinking the only answers come from the sell side and keep putting old crap in new wrappers.

Echte Beziehungen? Wow! VRM? Man könnte es auch CRM 2.0 nennen:

Die Konsolidierung der Kundendaten
seitens des Unternehmens im Sinne eines einheitlichen Managements der Kundenbeziehung (CRM) ist nur ein erster Schritt. Denn durch die interaktiven Kanäle wird der Kunde zum aktiven Partner in
der Beziehung. Vormals ausschließlich interne Unternehmensprozesse werden bis zum Kunden hinaus
verlängert und müssen hinsichtlich Nutzen und Gestaltung Akzeptanz finden. Kunden streben danach,
Produkte und Prozesse nach eigenen Wünschen maßzuschneidern. Gelingt dieses, gehen Kunden und
Unternehmen ein beinahe symbiotisches Verhältnis
ein – der Kunde wird durch seine Einbindung in die
Service- und Transaktionsprozesse des Unternehmens
zum Manager seiner Unternehmensbeziehungen.
Customer Relationship Management wird so zu Company Relationship Management (CRM 2.0).

Diese Passage stammt aus der Feder von Matthias Schrader und ist gedruckt worden im Geschäftsbericht 2000/2001 von SinnerSchrader. Daran kann ich mich noch erinnern, denn es war der erste, an dem ich seinerzeit beteiligt war.
Doch zurück zum Thema. Was ist Werbung, was kann Werbung und was kann Werbung nicht? Doc Searls:

Advertising is about supply finding and „creating“ demand. Nothing wrong with that. At its best it’s good and necessary stuff. But think about what will happen when demand can find and create supply. That’s the real holy grail here. And it’s one that will take fresh development effort on both the supply and demand sides. The difference between those two right now is that the supply side has been working on targeting, creating and controlling demand for the duration, and the demand side is still getting started.

Die Angebotsseite hat 100 Jahre Vorsprung, aber die Nachfrageseite beginnt aufzuholen.

Suum cuique

Messen und Kongresse sind fast perfekte Spiegelbilder ihrer jeweiligen Branchen. So hält auch die Web 2.0 Expo, noch bis morgen in Berlin, der einschlägigen europäischen Szene einen Spiegel vor. Und was diese Szene darin sieht, gefällt ihr nicht.

So erklären sich der Unmut und die Enttäuschung, die sich vielerorts ausbreiten. O’Reilly und CMP lassen ihren webzwonulligen Konferenzzirkus in Berlin Station machen. Der Chef und einige seiner besten Zugpferde erklären den Europäern noch einmal zum Mitschreiben, was eigentlich Web 2.0 ist.

Und ansonsten dürfen Deutsche und Europäer auf die Podien. Wo viele, was man so hört und selbst sieht, keine übermäßig gute Figur machen. Aber so ist nun einmal der Zustand des Web 2.0 in Europa, O’Reilly hin, Startups her.

Die Amerikaner haben Dave Winer:

Long-term, advertising is on its way to being obsolete. Facebook is just another step along the path. Advertising will get more and more targeted until it disappears, because perfectly targeted advertising is just information. And that’s good!

Und wir haben Don Alphonso:

Wenn es eine Gefahr gibt für das, was man als soziales Netz bezeichnet, und von denen leider auch so erkannt wird, dann ist es eben dessen werbebasierte Kommerzialisierung. An dem Tag, an dem Blogger nicht mehr miteinander reden, sondern Blogs nur noch als Möglichkeit begreifen, einander Werbetafeln ins gesicht zu halten, ist da nichts mehr soziales. Das ist eine virtuelle Tupperwareparty, sonst nichts.

In meinen Augen sind das parasitäre Wirtschaftsformen auf der Suche nach einem Wirtstier. Und Leuten, die Leuchterhirsche bei Tchibo verkaufen, glaube ich keine Sekunde, dass ihnen die Gesundheit des Wirtstiers irgendwas bedeutet. Unsere modernen Parasiten sind nicht mehr einfache Blutsauger, sie begreifen das Wirtstier als nach Möglichkeit kostenlos im Internet verfügbaren Wertschöpfungsmechanismus, dessen Regeln sie verstehen wollen, um ihm möglichst lang möglichst viel abzapfen zu können.

Keiner von beiden war in Berlin, aber der Unterschied ist doch gewaltig. Suum cuique.

Trotz aller Schwächen im Detail ist es großartig, dass O’Reilly Berlin zur europäischen Hauptstadt in Sachen Web 2.0 erkoren hat. Das lag angesichts der Kongresslandschaft im Europa nicht unbedingt auf der Hand.

Und man vergesse nicht die Großzügigkeit, mit der die Amerikaner praktisch jeden, der nicht bei drei auf den Bäumen war, mit einem kostenlosen Kongressticket beglückt haben. Da kann ich über fehlende Atmosphäre und mangelhaftes Catering schon einmal hinwegsehen. You get what you pay for.

So trifft sich diese Woche in Berlin tatsächlich eine Szene mit Menschen, die sich etwas zu sagen haben und das auch ausgiebig tun. Denn warum eigentlich besuchen wir Kongresse? Kathy Sierra nannte gestern, drastisch formuliert, den Grund: Wir wollen andere Menschen von Angesicht zu Angesicht treffen. Alle elektronischen Kommunikationsmittel können den direkten Kontakt nicht ersetzen.

Über die Zahl, Qualität und Freundlichkeit der Kontakte in diesen Berliner Tagen kann ich wirklich nicht klagen. Es war hervorragend. Und es hätten noch mehr sein können, wäre da nicht gestern eine erfreuliche Kleinigkeit dazwischengekommen: SinnerSchrader wird für das vergangene Geschäftsjahr erstmals eine Dividende zahlen, einen entsprechenden Beschluss der Hauptversammlung vorausgesetzt.

Die Grenze zwischen Werbung und Redaktion

Die Internet World hat mir ein paar Fragen zum immer wieder spannenden Thema der Trennung zwischen Werbung und Redaktion im Web gestellt. Hier meine Antworten.

Verschwimmt im Zeitalter des viralen Marketing die Grenze zwischen
Werbung und Redaktion oder gibt es nach wie vor klare
Demarkationslinien?

Wo es redaktionelle Angebote gibt, sollte es auch eine klare Trennlinie zur Werbung geben. Dies liegt im ureigenen Interesse jedes redaktionellen Mediums, denn sonst verliert es an Glaubwürdigkeit. Viele Angebote im Web haben aber gar keine Redaktion, und dann kann es auch keine Trennung zur Werbung geben. Werbung sollte immer dann deutlich gekennzeichnet werden, wenn sie nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen ist.

Dürfen Unternehmen und ihre Agenturen komplette Artikel
oder Themeninseln
konzipieren und erstellen, damit sie von redaktionellen
Websites veröffentlicht werden?

Ja, dürfen sie. Die Redaktionen fahren allerdings besser damit, diese Artikel oder Themeninseln klar zu kennzeichnen. Schmu erkennt der mündige Medienkonsument früher oder später – und straft mit Nichtbeachtung.

In welcher Form darf ein Unternehmen einen Blog oder eine Community
fördern oder komplett finanzieren?

In jeder Form, die Leser und Konsumenten verstehen und goutieren. Unternehmen können auch selbst Blogs betreiben oder eine Community pflegen. Anders als in den klassischen Medien haben sie im Web viele Möglichkeiten, direkt mit den Konsumenten zu interagieren. Die Konsumenten suchen den direkten Kontakt.

Spielt sich die gesamte Diskussion über Schleichwerbung im Netz
nur in einem „inneren Zirkel“ der Medienschaffenden ab? Interessiert das den „normalen“ User überhaupt?

Auch wenn sich die Diskussion tatsächlich in einem inneren Zirkel abspielt – Otto Normalverbraucher ist an authentischer Kommunikation und Interaktion mit Unternehmen und Marken interessiert. Wer dieses Interesse bedient, hat damit Erfolg.

Die Chance, Agentur Nummer eins zu werden

Statement von Matthias Schrader in PAGE 11.2007 (Ausschnitt)

Heute war Heft 11.2007 der PAGE in der Post. Auf dem Titel: Matthias Schrader mit seiner Antwort auf die Frage „Interactive vs. Klassik – Wer führt?“. Hier sein Statement aus dem Heftinnern in voller Länge:

Die meisten Menschen meiden heute die Unterbrecherwerbung in klassischen Medien, während sie in den digitalen gezielt Marken suchen – sie gehören zu den am häufigsten gesuchten Begriffen. Das heißt: Das Web wird das zentrale Medium für den Austausch mit einer Marke, also zum Kanal Nummer eins. Damit haben auch die Agenturen, die hier ihre Kernkompetenz haben, die Chance, zur Agentur Nummer eins zu werden. Entscheidend ist, wer den interaktiven Konsumenten am besten kennt und versteht. In den USA gibt es bereits Beispiele für diesen Prozess: Agency.com hat den Lead für Ikea in den USA übernommen, R/GA eine ähnliche Funktion für Nike.

Aus diesem Grund versuchen die klassischen Agenturen ja seit mittlerweile zehn Jahren digitale Kompetenzen aufzubauen, aber es ist ihnen bisher nicht gelungen. Das hat viel mit ihrem Selbstverständnis zu tun: Sie gehen typischerweise von einer Idee aus, die sie in eine Geschichte verpacken. Für die 360°-Kommunikation entwickeln sie eine Idee, die in allen Medien funktioniert. Doch das wird dem Medium Web nicht gerecht. Ein Konsument, der 20° Grad vorgebeugt am Bildschirm sitzt, will etwas über das echte Produkt erfahren und nicht nur eine Geschichte hören.

Denn das Tolle an diesem Kanal ist ja gerade, dass Marken das erste Mal seit Erfindung der Massenproduktion direkt mit dem Konsumenten interagieren können. Heute kann jeder quasi durch den Monitor greifen und sein Auto konfigurieren, seine Reise zusammenstellen oder die Farbe seines Turnschuhs aussuchen. Dabei sind die Kunden durch die Internet-Pure-Player verwöhnt – also die Googles, Amazons und Ebays dieser Welt. Sie geben den Takt vor und Marken müssen nun die gleiche Geschwindigkeit aufnehmen. Um das zu leisten, braucht man den direkten Austausch zwischen Interactive-Agentur und Marketing-Entscheider.

Die digitalen Agenturen müssen sich dieser gewachsenen Bedeutung noch bewusst werden. Das ist vor allem eine mentale Anstrengung. Viele haben bisher stark in Richtung Umsetzung gedacht und gearbeitet. Das ist zwar ein echtes Asset, das klassische Agenturen in der Regel nicht haben, aber es reicht letztlich nicht, um auch auf Vorstands- oder Geschäftsführungsebene als Partner wahrgenommen zu werden. In den USA und Skandinavien hat dieser Wechsel in den letzten zwei, drei Jahren schon stattgefunden. Deutschland hinkt da sicherlich noch ein Stück hinterher.