Ein zweiter Bericht über den Beitrag „Me, Myself and I. Und wo ist die Marke?“
Das eine Community „zuklattert“ und man sich ständig vor fliegenden Schafen und Vampiren wehren müsse sei die derzeit Größte Gefahr bei der Produktentwicklung von Social Networking Plattformen. Was Marcus Riecke von StudiVZ damit meint sind die überbordenen Gag-Funktionen von Applications, wie sie allen voran auf Facebook Gang und Gäbe sind. Wichtiger als Einzelapplications ist ihm für StudiVZ, dass die Inhalte künftig transportabel sind. Hilfen bei der Übertragung von Userdaten über verschiedene Netzwerke – allen voran die Initiative Open Social – werden deshalb in Zukunft immer mehr genutzt.
Angst um die User, wenn man sich StudiVZ oder MySpace-Inhalte auch jenseits dieser beiden Sites ansehen kann? Riecke verneint. Die Inhalte werden überwiegend von den Usern geschaffen. Die Auswahl der Freunde sorgt somit für die individuelle User-Experience. Dass alle Freunde zu einer anderen Plattform ziehen ist sehr unwahrscheinlich. Den Lieblings-Content-Mix gibt es also weiter nur auf der ursprünglichen Plattform. Der „Lock-In“ bleibt gewahrt.
Joel Berger von Myspace setzt bei der Portabilität auf zwei Ausbaustufen – zuerst soll es alles, was es bei MySpace gibt, auch mobil geben. Als zweites soll das MySpace-Userprofil auch eBay, Twitter und Yahoo befüllen.
Der Stand der Werbevermarktung?
Die beiden Konkurrenten sind sich einig – klassische Displaywerbung ist auf dem absteigenden Ast, Branded Communities, Social Marketing und Empfehlungen werden dominieren, auch wenn Berger die Meinung vertritt, dass die Markenwelten 2.0 als Werbeform in Deutschland noch nicht gelernt seien und Rieke verkündet er glaube „das AdWords von Social Networks muss noch gefunden werden.“. Gestützt werden sie vom aktuellen Horizont-Artikel über stotternde Community-Motoren, der trotz des pessimistischen Aufmachers veranschaulicht, wie Brands und Unternehmen in den USA in soziales Marketing investieren.
Was Berger Riecke von StudiVZ zu Communitystruktur und Monetarisierung sagten berichtete bereits Michael Seeman.
Web 2.0
Es gibt 251 Beiträge in Web 2.0.
Unterschiedliche Arten des Beta-Tests
Ein immer wieder anzutreffendes Stilelement moderner Web-Applikationen, im Volksmund „Web 2.0-Dienste“ genannt, sind Beta-Tests. Interessierte Nutzer melden sich zur Nutzung eines Dienstes an, um ihn noch in der Entstehungsphase zu testen und im Idealfall wichtiges Feedback an die Anbieter zu geben.
Bislang kannte ich nur zwei Formen des Beta-Tests, seit kurzem sind mir drei weitere bekannt.
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Der Beta-Test auf Anmeldung
Sehr üblich ist es, daß man auf der Webseite des neuen Dienstes seine E-Mail-Adresse hinterläßt und dann angeschrieben wird, wenn wieder „Plätze frei“ sind. Während dieser Phase existiert der Dienst nur für die Beta-Tester, deren Zahl hin und wieder aufgestockt werden kann. Es kann sein, daß der Dienst dabei einschläft, wie dies beim Webtracker „Measure Map“ der Fall war. Es muss aber nicht so weit kommen.
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Der immerwährende Beta-Test
Es hat lange gedauert, bis Dienste wie Flickr das „Beta“ aus dem Logo strichen. Damit haben sie in ihrer Anfangszeit den Anspruch unterstrichen, ständig an Features zu arbeiten. Dies ist unter dem Stichwort „Perpetual Beta“ bekannt.
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Der Beta-Test mit versuchter Bestechung
Vor kurzem bekamen einige Blogger Päckchen mit seltsamem Inhalt: eine Zahnbürste, ein Nassrasierer und ein Motorola-Handy wurden von einem unbekannten Absender verschickt. Jedes Päckchen hatte eine eigene Nummer. Erst nach einer Woche wurde die Identiät des Absenders durch einen Brief enthüllt. Bis dahin war viel Zeit für Spekulationen, die so mancher nutzte. Alle Ideen über den Urheber waren übrigens falsch.
Der Sinn der Geschichte war offensichtlich die persönliche Einladung zum Beta-Test eines neuen Dienstes. Anstatt einer normalen Mail wollte man Aufmerksamkeit erheischen. Mich würde dabei die Erfolgsquote interessieren, denn trotz des Bestechungspaketes habe ich mich bislang noch immer nicht registriert, was nicht nur mir so geht. Patrick Breitenbach läßt an der Aktion auch kein gutes Haar.
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Der Beta-Test mit Unkostenbeitrag
Sehr verblüfft war ich, als mir ein Freund eine Mail weiterleitete, die er als Antwort auf eine Anmeldung zum Beta-Test eines interessanten neuen Dienstes bekommen hatte. Der an der Uni Osnabrück entwickelte Dienst GoodGaze verspricht, Nutzungsverhalten vorauszusagen. Sozusagen eine „Hellseher-Heatmap“
Nach der Anmeldung wurde den potentiellen Beta-Testern mitgeteilt, daß die Nutzung des Dienstes zum Zwecke des Beta-Tests einen Unkostenbeitrag von 150 Euro (zzgl. USt) kosten würde. Ein Dienst wird also von Steuergeldern bezahlt und möchte zudem noch kostenlose Debugging-Leistungen erbracht bekommen, verlangt dafür aber noch Geld, anstatt den Testern welches zu zahlen. Diese Form der Dreistigkeit scheint mir neu.
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Die öffentliche Anmeldeliste
Normalerweise sind Anmeldungen zu Beta-Tests nicht öffentlich. Man trägt seine E-Mailadresse in ein Formular ein und bekommt irgendwann eine Antwort. Doch oft bekommt man schnell mit, daß sich regelrechte Cliquen zum gemeinsamen Test von Diensten versammeln. Diesen Umstand nutzt nun ein neues deutsches Startup aus. Die Anmeldeliste ist öffentlich, dafür kann man sein eigenes Tipi (Zelt) zum Warten auf einer speziellen Webseite aufschlagen. Eine witzige Idee, die mehrere interessante Aspekte hat: es wird nicht nur eine E-Mailadresse abgefragt, sondern ein kleiner Mehrwert zur Anmeldung geboten. Ein Interessent kann zudem überprüfen, wer seiner Bekannten sich auch für den Dienst interessiert und bekommt so evtl. schon einen Anreiz zur Anmeldung. Schön ist auch die Analogie zur realen Welt gelöst, indem auf der Webseite auch Nacht wird.
Ja, die schöne neue Web 2.0-Welt bringt interessante Ideen an allen Ecken und Ende hervor. Aber nicht alle Ideen sind dabei wirklich tauglich. Patrick Breitenbach hat Recht, wenn er schreibt, daß alle Trittbrettfahrer mehr von der Päckchen-Aktion gehabt haben, als Tchibo. Nach der Auflösung habe ich keine Berichte über den Dienst gelesen.
Warum soll ich eigentlich einen Dienst testen, nur weil mir jemand ein Werbegeschenk dafür zusendet? Das ist für die zu testende Applikation eine denkbar schlechte Motivation. Wenn jemand meinen professionellen Rat haben will, soll er dafür bezahlen. Oder er bekommt ihn kostenlos, wenn ich mich für die Applikation interessiere. Niemals würde ich hingegen selber für einen solchen Test zahlen. Denn die Beziehung „Beta-Tester“ zu „Beta-Dienst“ ist doch ganz eindeutig: der Beta-Tester erbringt eine Dienstleistung, für die normalerweise Geld fliessen müsste.
Die Gespräche wandern durch das Netz
Als ich 1994 meine ersten Schritte im Internet unternahm, faszinierte mich das Usenet mit seinen schon damals unzähligen Diskussionsforen und seiner eigenen Diskussionskultur. Eher abseitige Themen wurden auf Mailinglisten diskutiert, und für den kurzen Schnack gab es IRC und talk.
Dann kam das Web, mit ihm neue Gespräche in Webforen und bald darauf auch Blogs. Mit den Blogs kamen Kommentare, Trackback und RSS und damit die Möglichkeit, den Debatten mittels Feedreader zu folgen, ohne das Blog selbst besuchen zu müssen. Damit war wieder der Stand erreicht, den das Usenet zuvor bereits geboten hatte, allerdings auf einem neuen Niveau.
Die nächste Generation von Konversationswerkzeugen trat 2006 mit Twitter auf den Plan. Sie hat neben RSS auch Programmierschnittstellen, die neue Möglichkeiten für die Netzgesprächskultur bieten. Das Wanderungstempo der Gespräche im Netz hat sich damit dramatisch erhöht.
Hatte Twitter bereits einen Teil der zuvor auf Blogs geführten Debatten angezogen (jenen nämlich, der sich mit Statements von maximal 140 Zeichen Länge führen lässt), so folgen nun in immer kürzeren Abständen Plattformen, die Debatten geradezu magnetisch anziehen.
- FriendFeed zeigt die Lifestreams seiner Nutzer auf einer Plattform. Da jeder Eintrag kommentiert werden kann, hat sich bereits eine lebendige Diskussionskultur entwickelt. Früher in Kommentaren auf Blogs geführte Debatten wandern zu FriendFeed ab.
- AlertThingy ist ein Programm, das FriendFeed auf den Desktop holt – wie zuvor Twitterific oder Twhirl für Twitter, Feedreader für RSS oder Newsreader für das Usenet. Es nutzt dazu die Programmierschnittstelle von FriendFeed.
- fav.or.it ist ein Feedreader der nächsten Generation (noch in geschlossener Beta), der verspricht, die Kommentare seiner Nutzer wieder auf die Blogs zurückzubringen – anders als FriendFeed und
- Shyftr (steht für Share Your Feeds Together), ebenfalls ein webbasierter Feedreader, der wie FriendFeed Kommentare auf der eigenen Plattform erlaubt.
Für manch altgedienten Blogger mögen das aufregende Entwicklungen sein, die mit einer gebührenden Portion Argwohn betrachtet gehören, doch letztlich ist es nicht mehr als die weiterziehende Karawane, der die Hunde nachbellen. Ob im Usenet oder bei Shyftr – die Gespräche im Web sind auf einer stetigen Wanderung und finden immer dort statt, wo ihre Teilnehmer sich gerade wohlfühlen. Sie gehören allen und niemandem.
Die Technik ändert sich, die Menschen bleiben gleich.
„Facebook macht alles richtig“

Universität Mannheim, 19 Uhr, der Hörsaal ist voll, 200 Studenten warten auf Ehssan Dariani, Gründer und Ex-Chef von StudiVZ, Deutschlands mitgliederstärkstem Social Network. Dariani ist über die Webszene hinaus bekannt, 2006 sorgte nicht nur sein Unternehmen, sondern auch er persönlich, für einige Aufmerksamkeit mit einer … sagen wir … etwas ungeschickten Außendarstellung. Doch das ist lange her, Dariani längst nicht mehr bei StudiVZ aktiv und aus der Öffentlichkeit verschwunden.
„Ehssan hat seinen Flug verpasst und wird frühestens in einer halben Stunde hier sein.“ Unruhe im Saal, die ersten stehen auf und gehen. Um mich herum eine latente Abneigung gegen StudiVZ und den noch nicht eingetroffenen Redner.
Als er um halb acht kommt, ist der Hörsaal wieder bis auf den letzten Platz gefüllt und er legt gleich los – überraschend witzig, authentisch, selbstironisch, sympathisch. Er erzählt von den Anfängen bei StudiVZ, wie er in Berlin auf dem Sofa eines Bekannten die Nächte und in Cafes mit freiem WLAN die Tage verbringt. Mit einem Versuch, Kosmetik für Männer an den Mann zu bringen, sei er gnadenlos gescheitert und von StudiVZ wollte auch niemand was wissen. Doch dann hätten ihm Lukasz Gadowski und Matthias Spieß, die beiden Spreadshirt-Gründer, 10.000 Euro für einen Zehn-Prozent-Anteil an StudiVZ gegeben.
Erheiterung im Saal, als er berichtet, dass er zwar in den zwei Jahren bei StudiVZ mehr Geld verdient habe, als die meisten in ihrem ganzen Leben, aber immer noch kein Auto besitze – und wieder, als er erzählt, dass er nicht mit Excel umgehen könne, völlig unstrukturiert sei, „ein typischer ADHS-Fall, total hyperaktiv, aber auch sehr kreativ.“
Man merkt, dass er es eilig hat, er springt geradezu von einem Punkt zum nächsten: SchülerVZ, das „StudiVZ für Schüler“ habe den großen Bruder zwar an Page Impressions mittlerweile überholt, aber nicht an Visits: „Da sind halt die ganzen Teenies und klicken den ganzen Tag rum.“ Oder: „Leute in großen Konzernen sind alles Bürokraten.“ Später: „Wenn man ein gewisses Geltungsbedürfnis hat, so wie ich …“
Er lüftet das Geheimnis, wie die Farben der Plattformen zustande kamen: das Rot von StudiVZ sei dem Zufall und der Rot-Grün-Blindheit eines Bekannten geschuldet, das Magenta Pink bei SchülerVZ habe man bewusst gewählt, in der Hoffnung von einem großen deutschen Konzern verklagt zu werden und damit Aufmerksamkeit zu erregen. Aber die Konzerne bewegen sich halt sehr langsam, fügt er enttäuscht hinzu. Seinen Missmut über das derzeitige Management bei StudiVZ kann er immer wieder nur schwer unterdrücken – so auch als er bezweifelt, dass MeinVZ Erfolg haben wird („Ich hätte das so nicht gemacht.“)
Später wird er gefragt, warum Holtzbrinck so viel Geld für StudiVZ ausgegeben habe und kommt zu der steilen These: „Bevor die StudiVZ gekauft haben, kannte doch niemand Holtzbrinck.“ Was er zur Öffnung von Social Networks meine, so wie „zum Beispiel Facebook Anwendungen von Drittanbietern ermöglicht, StudiVZ da aber noch zögert“ wird er gefragt. Dazu hat er eine überraschend klare Meinung, für die er nicht nachdenken muss: „Facebook macht alles richtig. StudiVZ …“ – er kommt ins Stocken – „… noch jemand eine Frage?“
Nach fünfzig Minuten muss er los, „den letzten Flieger nach Berlin kriegen“ – das Auditorium applaudiert, die Mädels in der Reihe hinter mir, die am Anfang noch über Dariani lästerten, sind sich einig: „Der ist ja eigentlich total nett.“
work 2.0 – selbst- oder fremdbestimmt?
„Wie schön, dass ich so viele Möglichkeiten habe! Ich darf jeden Tag etwas dazulernen und kann mich mit meinen Projekten und Kunden zusammen weiterentwickeln! Ich habe alles selbst in der Hand.“
„So toll finde ich das nicht: Immer muss ich flexibel sein. Ständig ändert sich alles und ich muss weiter dazu lernen, sonst ist mein Know-how morgen nichts mehr wert. Und wer sagt mir, wo es lang geht?“
Zwei Sichtweisen auf dieselbe Situation. Was wir heute als work 2.0 bezeichnen, nämlich die Eigenverantwortung des Einzelnen für seine berufliche Entwicklung, ist gerade bei Freelancern und vielen Agenturen besonders gut zu beobachten: Sie stellen sich den veränderten Anforderungen, anstatt nach der guten alten Zeit zu rufen.
work 2.0 geht deutlich weiter als das IKEA-Prinzip, nach dem einfach standardisierte Bauteile zusammenfügt werden. Obwohl: IKEA hat auch aufgehört, passende Schrauben dazuzulegen, mit der Begründung, es gäbe so viele unterschiedliche Wände. Stimmt ja auch.
In der Arbeitswelt ist es nämlich so, dass es eine immer größere Vielfalt von Anforderungen gibt. Und weil die Vielfalt immer größer wird, kann man irgendwann nicht mehr von Standards sprechen. Erste und oberste Anforderung ist dann: Wandlungsfähigkeit, also lernfähig, wach und neugierig zu bleiben.
Alte Strukturen ächzen
Die Gewinner von work 2.0 werden diejenigen sein, die unternehmerische Eigenschaften mitbringen. Man muss seine Bildung selbst organisieren, seine Aufträge, seine Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Multiplikatoren – alles möglichst professionell und konkret. Man produziert sich selbst (als wer auch immer), inklusive Qualitätskontrolle (wenn man schlau ist), denn das Feedback vom Markt kommt schnell und direkt.
Analog zu web 2.0 sieht man auch in der heutigen Arbeitswelt, wie die alten, zentralen Strukturen ächzen und viele hilflos fordern, dass flexible Arbeitsformen wie z. B. Zeitarbeit wieder abgeschafft werden. Gewerkschaften sind da ganz groß, aber auch die Politik nutzt das Vehikel gern, um Ängste zu schüren. Kein Mensch scheint sich für die Chancen zu interessieren, die flexibles Arbeiten mit sich bringt.
Die kreative Klasse
Allerdings: Die viel besungene kreative Klasse hat das längst verstanden. Und sie wächst. Es gibt sogar eine Theorie über sie, wie Wikipedia verrät. Sie sind es, die Innovationen vorantreiben. Viele arbeiten in Agenturen oder sind in der Technologie oder Beratung tätig. Als Einzelne, Teams, Sozietäten, Bürogemeinschaften. Oft mit zwei bis vier Visitenkarten im Gepäck.
Und: Es sind keine verschrobenen Erfinder und Künstler, vielmehr moderne Dienstleister, die jederzeit den Wert ihrer Arbeit für den jeweiligen Kunden im Blick haben. Die Anzahl derer, die dieser kreativen Klasse zugeordnet werden, bestimmen vermutlich früher oder später Wirtschaftspotenzial und somit den Wohlstand einer Gesellschaft. Zum Beispiel unserer.
Vielleicht sollte man sich mal darum kümmern?

Christiane Strasse ist Gründerin und Geschäftsführerin von projektwerk. Sie beschäftigt sich seit über 10 Jahren mit der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und gründete projektwerk 1999 als Plattform für die Akteure dieses Marktes. projektwerk ist Sponsor der next08.