Eine weitere, nette Spielerei für die Smartphone-Welt oder bald Bezahl-Alltag an den Kassen dieser Welt? Google hat sich mal wieder auf die Fahne geschrieben, unseren Alltag zu revolutionieren und wagt sich diesmal mit seinem Payment-Dienst Google Wallet direkt an unser Lebenselixier, nämlich unser Geld, heran.
EC-Karten – haben ausgedient; Kleingeld – schon fast steinzeitlich. Die Smartphones dieser Welt sollen’s richten. Naja, vorerst nur eines und zwar das Google Nexus S. Das kommt von Haus aus mit der Near Field Communication-Technologie, die für den mobilen Bezahldienst nötig ist. Darüber können drahtlos auf kurze Distanzen Daten ausgetauscht werden. Und so kann der geneigte US-Bürger schon jetzt in New York und San Francisco seine Kreditkartendaten an den Coke-Automaten auf dem Weg zur Arbeit übermitteln. Nach Kleingeld zu suchen wäre ja schließlich eine Belastung für Zeit und Nerven im trubeligen Alltag eines jeden New Yorkers.
Ab dem Spätsommer soll dann auch der Rest der USA nicht mehr lange nach Kleingeld oder Kreditkarte fischen müssen, sondern nur noch seine Wunderwaffe Handy zücken können. Google greift dabei auf die Infrastruktur seines Partners MasterCard zurück, der nach eigenen Angaben bereits gut 300.000 Händler mit seinem drahtlosen Bezahlsystem PayPass ausgestattet hat.
Doch den wirklichen Mehrwert des Bezahlens via Smartphone kreiert Google dadurch, dass auch verschiedene Bonussyteme integriert werden sollen. So entfällt das Suchen der passenden Treue- oder Geschenkkarte. Google Wallet will das Bezahlen, das Sammeln von Treuepunkten und das Einlösen von Gutscheinen vereinen und in einer 3-Sekunden-Handybewegung erledigen. Mit seinem gleichzeitig vorgestellten Dienst Google Offers soll der Nutzer außerdem noch à la Groupon tägliche Schnäppchen und Gutscheine direkt auf sein Smartphone bekommen. Und zwar natürlich vollkommen kostenlos.
Und was hat Google davon? Na klar: Daten, Daten und noch mal Daten, die sich in bares Geld verwandeln lassen. Von irgendetwas muss Google ja schließlich auch leben. Der Markt mit personalisierter Werbung boomt und die Datenschützer dieser Welt heben vermutlich schon mal vorsorglich ihre Schützengräben aus, um zumindest im Datenschutzland Deutschland zum Angriff auf Google Wallet zu blasen.
Aber was ist eigentlich dagegen einzuwenden, wenn die Werbung auf mich ganz persönlich zugeschnitten wird? Ich finde es eigentlich sehr angenehm, wenn ich nicht mehr mit Anzeigen für Treppenlifts oder Anti-Aging-Behandlungen überflutet werde, sondern die Werbeindustrie dank Google weiß, wofür mein Herz wirklich schlagen könnte. Und um meine Bankdaten muss ich mit Google Wallet auch nicht mehr Angst haben als mit jeder anderen Banking-App, die fröhlich auf mein Konto zugreift.
Also liebes, treues, altes Lederportemonnaie mit all den lustig bunten Plastikkarten und Scheinchen in dir drin, es war wirklich schön mit dir, aber bald bist du wahrscheinlich nur noch Nostalgie und mein Smartphone die Realität.
Revolution
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Bitcoin, das gefährlichste Projekt aller Zeiten und die Angsthasen vom BVDW
Es sagt viel über den traurigen Geisteszustand in diesem, unserem Lande, wenn selbst der Bundesverband Digitale (!) Wirtschaft in Technophobie und Staatsgläubigkeit versinkt. So warnt der BVDW in einer Pressemitteilung vom 1. Juni doch allen Ernstes vor der virtuellen Währung Bitcoin. Dabei hebt die gerade erst ab.
Bitcoin ist ein spannendes Experiment, ob und wie eine vollkommen dezentrale, rein digitale Währung funktionieren kann, die gleichzeitig die Vorteile des Bargelds auf sich vereint. Der BVDW hängt sein Fähnlein voreilig nach dem Wind der Politik, die gerade erst auf das Phänomen aufmerksam geworden ist und nun um ihren Einfluss fürchtet.
Denn hinter Bitcoin steht weder die Zentralbank eines Staates noch ein privates Unternehmen, die sich politisch relativ leicht kontrollieren lassen. Doch mit den gleichen Totschlagargumenten, denen zu bedienen sich der BVDW nicht zu schade ist, ließe sich auch Bargeld verbieten, wie Linus Neumann in einer schönen Parodie auf das Verbandspamphlet gezeigt hat.
Virtuelle Währungen sind an sich kein besonders neues Thema. Die prominentesten Beispiele sind Spiele wie World of Warcraft oder Farmville, virtuelle Welten wie Second Life oder soziale Netzwerke wie Facebook oder weiland MySpace. Zur plötzlich aufkeimenden Angst vor Bitcoin hat sicher Jason Calacanis beigetragen, als er es das gefährlichste Projekt nannte, das er je gesehen hat. Seitdem hat Bitcoin breite Aufmerksamkeit gefunden.
Dem politischen Kampf gegen Bitcoin kommt der Drogenshop Silk Road gerade recht, der als Zahlungsmittel allein Bitcoins verwendet. Das entschuldigt allerdings nicht die tumbe Position des BVDW. Dessen vornehmste Aufgabe müsste es sein, der digitalen Innovation die Türen zu öffnen – und sie nicht gleich beim ersten leichten Gegenwind laut zuzuknallen.
Die vier apokalyptischen Reiter des Internets: Amazon, Google, Apple und Facebook
In der Frühphase des Fischmarkts, so im Jahr 2005, war hier gelegentlich von der AEG-Troika die Rede, bestehend aus Amazon, Ebay und Google. Zwei davon sind auch heute noch höchst relevant für die Entwicklung des Web, nur Ebay hat sich längst aus dem Kreis der tonangebenden Unternehmen verschiedet. Daran wird wohl auch die jüngst angekündigte Komplettübernahme von Magento nicht mehr viel ändern.
Google-Chairman Eric Schmidt hat den verbliebenen zwei Troikanern letzte Woche mit Apple und Facebook zwei weitere hinzugefügt und die Gruppe als die Four Horsemen bezeichnet. Das ist ein schillernder Begriff: Zuletzt trug eine Wrestling-Gruppe diesen Namen. Auf eine andere Spur führt ein gleichnamiger Spielfilm aus dem Jahr 1921: die vier apokalyptischen Reiter, die Seuche, Hunger, Tod und Krieg bringen. Doch ob Eric Schmidt diese endzeitliche Vision im Kopf hatte?
Für Eric Schmidt sind diese vier, Google, Apple, Amazon und Facebook, die treibenden Kräfte der Konsumentenrevolution im Web. Alle vier sind Plattformen, ihr gesamter Börsenwert liegt bei mehr als einer halben Billiarde Dollar, und sie spielen eine dominante Rolle, wie sie in den 90er Jahren zuletzt Microsoft hatte, damals zusammen mit Intel, Cisco und Dell. Microsoft ist Schmidt zufolge keine Triebkraft dieser Revolution des digitalen Konsumenten mehr.
Jeder der vier apokalyptischen Reiter hat eine spezielle Stärke: Suche (Google), Social (Facebook), Commerce (Amazon) und Hardware (Apple). Innerhalb dieser Gang of Four gibt es gleichzeitig Kooperation wie auch Wettbewerb, was mit der enormen Dynamik im Web zusammenhängt, und zwar in beiden Richtungen – als Ursache und als Wirkung: Dynamik erzwingt Kooperation, Wettbewerb erzeugt Dynamik. Gleichzeitig verschiebt sich die Macht immer mehr weg vom Produzenten hin zum Konsumenten.
Die vier apokalyptischen Reiter sind gleichzeitig Treiber und Getriebene dieser Machtverschiebung. Diese Ambivalenz ist schon im Konzept Plattform angelegt: Eine Plattform ist immer zu einem gewissen Grad offen für Dritte, auch für Wettbewerber, und ohne diese ist eine Plattform nutzlos. Doch Plattformen geben ihren Nutzern ein Stück Macht. Plattformen machen zum Beispiel Konsumenten zu Verkäufern (Amazon) oder zu Produzenten (Apple). Der Erfolg digitaler Plattformen treibt die Revolution immer weiter voran.
Interessant ist auch, was in dieser Vierergruppe noch fehlt – eine dominante Plattform im mobilen Bereich. Über die nächsten Jahre wird zu beobachten sein, ob sich eine solche herausbildet, ob ein neuer apokalyptischer Reiter auftritt oder einer der vier das Thema auf Dauer besetzen kann. Apple oder Google, iOS oder Android – das ist hier die Frage.
Die digitale Revolution und die Allmacht der Bilder
Die digitale Revolution ist überall. Auch ein Kommentar zur Tötung von Osama bin Laden in der Welt kommt nicht ohne einen Hinweis darauf aus:
Die digitale Revolution hat die Macht, man kann auch sagen Allmacht der Bilder ins Unermessliche gesteigert. Jeder fotografiert, dreht Videos und postet, manchmal auch die nichtigsten Dinge. Natürlich ist der Impuls ein aufklärerischer, man will sich ein Bild machen, man will verstehen, dabei sein. Doch auch die Wege der Aufklärung führen manchmal ins Tal der niederen Instinkte und dienen der Sensationslust.
Nur gut, dass auch die Welt kein Foto des toten Terroristen hat. So kann sie gar nicht erst in Versuchung geraten, ihren niederen Instinkten und der Sensationslust zu erliegen.
Irgendwas mit Daten: Post-Privacy, Datenliebe und Kontrollverlust
Als wir im vergangenen Herbst, übrigens auf Anregung von Nico Lumma, über Daten (engl. Data) als Leitthema der NEXT11 nachdachten, da hatten wir nicht viel mehr als eine vage Ahnung. Der Sommer des Missvergnügens an Google Street View war gerade vorüber, das neue Buch von Jeff Jarvis mit dem schönen Titel Public Parts lag noch in weiter Ferne.
Wir sahen schon, dass das Thema Daten starke Emotionen zu wecken imstande ist. Doch „Daten“ allein wäre als Konferenzmotto vielleicht etwas schlicht gewesen, also spielten wir jede Menge Ergänzungen durch und verfielen am Ende auf „Data Love„, zu deutsch so etwas wie „Datenliebe“. Unser Ziel war, die negative Energie, wie sie an Debatten über die angebliche Datensammelwut von Facebook oder Google abzulesen war, ins positive zu wenden. Oder wenigstens einen positiven Aspekt hinzuzufügen.
Wir generieren heute alle zwei Tage soviele Daten wie die gesamte Zivilisation seit ihrem Entstehen bis zum Jahr 2003 (Eric Schmidt). In dieser Situation versagen alle überlieferten Mechanismen des Datenschutzes wie der informationellen Selbstbestimmung. Im Zeitalter einer nie zuvor gekannten Explosion der allgemeinen Datenproduktion muss das Verhältnis von Privatsphäre und Öffentlichkeit neu definiert werden.
In der Zwischenzeit gewinnt das Thema erfreulicherweise an Schwung. Von der datenschutzkritischen Spackeria war hier bereits die Rede. Michael Seemann aka mspro hat dieses Phänomen nun auf seinem dem Kontrollverlust gewidmeten Blog CTRL-Verlust in den größeren Zusammenhang eingeordnet:
Die Spackeria ist eher noch ein datenschutzkritisches Blog, als ein theorielastiges Post-Privacy-Blog. Und als solches, wie ich finde, ein noch viel wertvollerer Beitrag zur Debatte. In letzter Zeit – vor allem bei und seit der Debatte um Google Street View – rückt immer mehr in den Blickpunkt, dass der Datenschutz im Angesicht des Kontrollverlust nicht nur versagt, sondern dass er in diesem Versagen teilweise reaktionäre, die Freiheit des Netzes gefährdende Züge annehmen kann und teilweise schon annimmt.
Der niedersächsische Datenschützer will Werbung auf Webseiten aus Datenschutzgründen verunmöglichen, aus der EU droht eine Richtline die das verwenden von Cookies so gut wie unbrauchbar machen könnte, das “digitale Radiergummi” und der Wunsch nach Vergessen des Internets bedroht die Informationsfreiheit und die Hysterie um Apple, Google und Facebook die “unsere Daten klauen wollen“, greift irrational in dem Medien um sich. Wie ich bereits feststellte, droht der Datenschutz sich gerade vollends lächerlich zu machen und bedroht ohne Frage so langsam das Internet und vor allem sich selbst. Dabei brauchen wir ihn immer noch dringend bei Fragen zur Vorratsdatenspeicherung und dem Schutz des Individuums vor staatlicher Repression.
Am Wegesrand tauchte in den letzten Tagen auch das Projekt Datalove auf, dessen Prinzipien wir bereits auf dem Konferenzblog hatten. Noch einmal Michael Seemann:
Es ist eine Sammlung von Werten die eine neue Haltung gegenüber Daten ausdrückt: “Data is essential“, “Data must flow“, “Data must be used“, “Data is neither good nor bad“, “There is no illegal data“, “Data is free“, “Data can not be owned“, “No man, machine or system shall interrupt the flow of data“, “Locking data is a crime against datanity“. Ich lese es als ein Versuch eine Gegenideologie zum Datenschutz zu entwerfen: Datenliebe statt puritanischer Datensparsamkeit. (Ich hatte es ja mal mit dem Begriff “Datengroßzügigkeit” versucht). Jedenfalls eine schöne Idee, die sich gut mit der Ethik des radikalen Rechts des Anderen verträgt, so als Haltung. Datenliebe und Datengroßzügigkeit als neue, propagierte Werte, passen besser zu der kommenden digitalen Gesellschaft, vor allem wenn sie sich freiheitlich begreifen will.
Stephan Urbach von Datalove hat dieser Interpretation indes noch etwas hinzuzufügen.