Das Nivea-Haus wird gebaut

Flagship Stores setzen effektvolle Kontrapunkte zur allgegenwärtigen
Verramschung von Marken. Das kennen wir von Premiumherstellern schon
lange. Jetzt entdeckt Nivea das Prinzip der Veredelung durch Inszenierung. In Hamburg, auf der Ecke Colonnaden / Jungfernstieg, hat Beiersdorf eine
700 Quadratmeter angemietet, um dort das
erste Nivea-Haus in Deutschland zu eröfnen. Nach Angaben von
Beiersdorf-Sprecher Peter Nebel soll dort die "ganze Nivea-Welt
erlebbar", aber kein Produkt verkauft werden. Nivea will beraten und neue
Produkte erklären; es soll Haut-Untersuchungen und Anwendungen wie
Massagen und Schminken geben. Man wolle dem Handel keine
Konkurrenz machen, suche nicht nach einem neuen Vertriebskanal, steht in der Welt.

Der Schutz der Wiederverkäufer ist sicherlich ehrenvoll, aber was
ist damit gewonnen? Die Kosmetikberaterin erklärt in exklusiver
Umgebung eine Creme, die der Besucher umständlich eine Ecke weiter beim Billigdrogisten kaufen muß – wenn dort überhaupt das Sortiment in der erforderlichen Tiefe vorrätig ist.

Das gleiche Problem hat die Marke übrigens im
Internet. Der Unterschied zwischen gucken und hier oder hier
kaufen ist schon eindrucksvoll. Schon so manche Marke hat sich aus
diesem Grund dazu entschieden, den Internetkanal nicht gänzlich den
Internethändlern zu überlassen. Sony, Puma, Esprit, ja selbst Haribo
sind Marken, die ebenfalls nie riskieren werden, ihren
Händlervertrieb zu verprellen. Aber sie reagieren auf die Wünsche ihrer
Kunden und bieten im Internet ein in sich geschlossenes Kauferlebnis an
– denn nur hier kann eine Marke sich frei von allen Einflüssen
präsentieren. Und das kommt ganz nebenbei nicht nur Hamburgern zugute.

Otto.de will auf die Wohnzimmer-Coach

Otto ("Versand" wurde letztes Jahr aus dem Namen gestrichen) macht sich in der aktuellen Ausgabe von ONEtoONE Gedanken ber die Zukunft des E-Commerce.

"Wie entwickelt sich die Online-Kommunikation? Wie lassen sich E-Commerce-Anwendungen auf andere Endgeräte übertragen? Was passiert, wenn der mobile Bereich mehr Bandbreite bekommt, bis hin zur Ausstattung der Haushalte mit intelligenten Kühlschränken?"

Diese Fragen formuliert Dr. Thomas Schnieders, Direktor Neue Medien bei Otto. Seine erste Antwort: Otto muss ins Wohnzimmer. Zusammen mit Microsoft entwickelt der Versender derzeit eine Anwendung, die das Einkaufen im Internet über die Fernbedienung ermöglicht. Das Kalkül ist, Fernsehzuschauer während der Werbepausen zu Shopping-Trips bei Otto.de zu locken.

Otto-Shop

Dahinter steckt wohl die Einsicht, dass a) Einkaufen nicht einfach genug sein kann, und b) Kaufentscheidungen im Wohnzimmer oder in der Küche getroffen werden, aber nicht im Arbeitszimmer, wo der PC steht. Noch sind alle Versuche, den PC in den Lebensbereich der Familien zu rücken, gescheitert. Der Media-PC hat es ebensowenig geschafft wie der Tablet-PC. Aber mal im Ernst: Vielleicht schafft es ja tatsächlich die IP-vernetzte Mikrowelle mit Display in der Tür? Es wäre nicht das erste Mal in der kurzen Geschichte der Internetwirtschaft, dass ehemals kühne Prophezeiungen sich zwar spät, dann aber umso nachhaltiger bewahrheiten.

Markenfeindliche Umgebung

Die Page berichtet (und Martin Oetting schreibt) über einen originellen Ansatz von Markenherstellern,

der konsum- und markenfeindlichen Discount-Umgebung in den Super- und
Hypermärkten zu entgehen und ihre Marken neu, interessant und ungewohnt
zu inszenieren.

Sie machen einfach Kurzzeit-Läden an unüblichen Orten auf. Sozusagen die Real-World-Alternative zum Online-Shop, der ja das gleiche Problem adressiert.

(Unbedingt lesenswert ist auch die kleine Geschichte, die Martin über seinen alten Kunden interlübke erzählt.)

Middelhoffs Rückkehr

KarstadtOder: KarstadtQuelle goes New Economy? Bei Bertelsmann war Thomas Middelhoff seinerzeit gefürchtet für die Gnadenlosigkeit, mit der er versuchte, das westfälische Familienunternehmen in die Internet-Ära zu beamen. Großartige Deals wie die früh erworbene und rechtzeitig abgestoßene AOL-Beteiligung brachten Bertelsmann ein ordentliches Kapitalpolster ein und ließen das eine oder andere wirtschaftliche Desaster verblassen.

Auf dem Fischmarkt interessiert uns vor allem, ob in Folge des jüngsten Personalwechsels an der Spitze künftig den E-Commerce-Aktivitäten des Hauses wieder größere Aufmerksamkeit (und vor allem Budgets!) zuteil werden wird. Die reichlich verschnarchten Sites karstadt.de und quelle.de (feiert gerade sein 10-jähriges Jubiläum) zum Beispiel lechzen geradezu nach Erfrischung.