Datenschutz: Ilse Aigner und der digitale Radiergummi

Die Idee ist bestechend: Bilder im Internet sollen ein Verfallsdatum bekommen oder vom Nutzer nicht nur publiziert, sondern auch wieder gelöscht werden können. Doch ein tragfähiges Konzept, wie diese Idee in die Praxis umzusetzen wäre, hat bis jetzt noch niemand vorlegen können.
Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner hat sich diese Idee und ein ganz konkretes Konzept nebst fast fertiger Softwareimplementierung zu eigen gemacht. Die Software heißt X-Pire, entwickelt hat sie Informatikprofessor Michael Backes. Bei einer Ministeriumsveranstaltung durfte er heute seine Lösung präsentieren.
Das Echo ist eher verhalten. Bitte vergessen, lautet das Fazit von Jürgen Schmidt, Chefredakteur heise Security. Zum Vergessen, meint fast gleichlautend netzpolitik.org. Kristian Köhntopp lenkte schon vor einer Woche die Aufmerksamkeit auf die zentrale Schwäche des Konzepts:

Was ist X-Pire?
Ein Firefox-Plugin für ein proprietäres Bildformat, das kryptographisch signierte Bilder nach einem bestimmten Datum nicht mehr anzeigt. Was natürlich auch circa 3 Millionen Weisen leicht auszutricksen ist, und in keiner Weise einem Radiergummi entspricht.
Noch dazu ist X-Pire ein ausgezeichnetes Ausforschungsinstrument, das sich gegen die Privatsphäre derjenigen Benutzer richtet, die das Plugin tatsächlich installieren.
Durch das Runterladen des Schlüssels vom Keyserver bekommt der Betreiber des Keyservers ausgezeichnete Analytics-Daten darüber, welcher Benutzer wann welches Bild angesehen hat – wie können Sie eine solche Praxis gutheißen, Frau Aigner?

Beim Thema Datenschutz beschleicht mich häufig das Gefühl, eine Debatte zu erleben, die nicht ganz auf der Höhe der Zeit ist. Ein Meilenstein war sicherlich das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983. Doch seitdem sind bald 30 Jahre vergangen.
Schon gut zehn Jahre nach dem wegweisenden Urteil erschien das Web auf der Bildfläche. Angesichts der damit verbundenen neuen Herausforderungen wurde das Thema Datenschutz bereits damals neu diskutiert, allerdings ohne wirkliche Lösung. Konzepte wie X-Pire sind keineswegs neu, konnten sich aber aus vielen guten Gründen nicht durchsetzen.
Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag die Aufgabe gegeben, das Bundesdatenschutzgesetz ans Internetzeitalter anzupassen. Dass hier dicke Bretter zu bohren sind, weiß auch Ilse Aigner.
Fragen an die Ministerin gibt es also genug. Warum nicht auf großer Bühne bei der NEXT11 mit ihr diskutieren? Hier der Vorschlag, bitte abstimmen!

Neun Prognosen für 2011

Mit meinen Prognosen für das neue Jahr bin ich traditionell spät dran. Was steht an für 2011?

  1. Die Generation Internet bleibt auch in diesem Jahr draußen vor der Tür. Die Geburtsjahrgänge ab 1991 sind zahlenmäßig zu schwach, um sich in einer alternden Gesellschaft durchzusetzen, in der Rentner, Pensionäre und Sozialleistungsempfänger den Ton angeben.
  2. Das Leistungsschutzrecht für verlegerische Leistungen, bereits 2009 im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP verankert, steht auch 2011 noch auf der Agenda, Mario Sixtus zum Trotz.
  3. Datenschutz und digitale Privatsphäre sind das große Thema des Jahres. Eine neue Generation von Start-ups wie MyCube und Personal bringt konstruktive Lösungen für das Dilemma zwischen digitaler Privatsphäre und Social (the animal formerly known as Social Media).
  4. Das nächste Buch von Jeff Jarvis (Public Parts) gibt dieser Debatte erst richtig Schwung. Es erscheint in diesem Jahr, die deutsche Ausgabe wird unter dem Titel Das Deutsche Paradoxon publiziert.
  5. Der Werbemarkt wächst auch 2011 leicht. Die Gewinner sind Online- und TV-Werbung, nicht zuletzt wegen der zunehmenden Konvergenz ihrer Technologien.
  6. Apple TV bekommt noch in diesem Jahr einen App Store. Damit überträgt Steve Jobs das Erfolgsmodell von iTunes, iPhone, iPad und Mac App Store auf das Fernsehen. Google TV nimmt einen zweiten Anlauf im Weihnachtsgeschäft 2011.
  7. Das App-Fieber des vergangenen Jahres klingt weiter ab, aber das neue Paradigma setzt sich durch. Mac App Store, Chrome OS – alles wird App. Sogar Microsoft kündigt einen App Store für Windows an, der aber nicht vor 2013 starten wird.
  8. Das digitale Buch hebt endgültig ab. Amazon bringt den Kindle Store nach Deutschland, Google Books lässt noch auf sich warten, die Sortimente der übrigen Anbieter werden größer.
  9. Facebook geht 2011 an die Börse. Der Börsengang schlägt alles, was im digitalen Bereich bis jetzt da war. Es ist ein Meilenstein wie die IPOs von Netscape und Google.

Was meinen Sie? Welche Themen bestimmen das Jahr 2011?

Careless Computing? Richard Stallman und die Cloud

Die Wahrheit liegt in den Daten. Und wenn die Daten abheben und in die Wolken des Internets verschwinden, dann liegt die Wahrheit eben in den Wolken. Doch wer hat dann die Kontrolle?
Der säkulare Trend ist klar: weg vom lokalen Rechner, hin in die Datenzentren der großen Akteure wie Google und Amazon. Heißt das auch: weg aus der direkten Kontrolle des Nutzers, hin zur Kontrolle durch internationale Konzerne?

Richard Stallman. Photo by jeanbaptisteparis on Flickr. Some rights reserved
Richard Stallman ist ein Unikum. Bereits in den 80er Jahren gründete er die Free Software Foundation und setzt sich seitdem für freie Software ein, was nicht unbedingt auch kostenlose Software bedeutet. Das wohl bekannteste und bedeutendste Beispiel für freie Software ist Linux.
Auf Linux basiert das neue, von Google entwickelte Betriebssystem Chrome OS, das vor kurzem auf ersten Testrechnern ausgeliefert wurde. Es gibt auch eine freie Variante namens Chromium, doch mit freier Software hat das Unterfangen nicht viel zu tun.
Das meint jedenfalls Richard Stallman, der den polemischen Begriff Careless Computing ins Spiel gebracht hat. Für Stallman sieht Chrome OS wie ein Plan aus, der die Nutzer zu Careless Computing verführen soll, indem sie gezwungen werden, ihre Daten in der Cloud abzulegen statt auf den eigenen Rechnern. In den USA, so sein Argument, verlieren die Nutzer sogar die gesetzlichen Rechte an ihren eigenen Daten, wenn sie diese auf den Systemen von Unternehmen ablegen.
Sollten wir also unsere Daten der Cloud anvertrauen? Oder sollten vielleicht eher die Gesetze geändert werden, um sie der neuen Situation anzupassen?
Sie möchten Richard Stallman gerne auf der Bühne der NEXT Conference im Mai 2011 sehen? Der Call for Participation ist offen, Sie können hier abstimmen.