PICNIC 08 im Schnelldurchlauf

„Three inspiring days of ideas, fun and sensory stimulation in media, technology, entertainment, art and science“ versprach das Konferenzprogramm. Und die PICNIC hielt ihr Versprechen. War die Keynote von Charles Leadbeater am ersten Tag noch eher eine Enttäuschung, weil sie dem Auditorium wenig Neues brachte, so gehörte das Panel „The Emerging Real-Time Social Web“ zu den spannendsten Diskussionsrunden.

Linda Stone, the queen of all social networks, wants to challenge the idea of „friending“. This, she argues, is the most absurd behavior we engage in online. Confronting her panelists – Jyri Engeström, Matt Jones, Addy Feuerstein and Philip Rosedale – one by one, she asks if they’re her friend. The point – our real social interactions are far more granular and nuanced than online tools currently allow them to be. This is the problem most of her panelists are striving to solve, either by building new, better tools, or by challenging how we think about social media. [aufgezeichnet von Ethan Zuckerman]

Der Höhepunkt des ersten Tages war dann die Session des israelischen Dirigenten Itay Talgam.
Der zweite Tag begann mit der Keynote von Clay Shirky, gefolgt von einer weiteren Überraschung – dem furiosen Vortrag der bei Intel beschäftigten Anthropologin Genevieve Bell über Secrets and Lies.

Lies are everywhere, in everything, and they’re incredibly complicated. Lies are central to movies and advertising, and there’s a complicated construction of truth and lies in all the world’s religions. Catholicism distinguishes between sins of ommission and commission in lying. In Judaism, there’s the idea of a permissable lie – a lie that might end a war or save a life. In Islam, the Prophet allows that telling your wife that you love her to preserve your happy marriage is a permissable one. „For two thousand years, women have been asking, ‚Do I look good in these jeans?‘ and men have been lying in response, with religious permission.“

Weitere Erkenntnisse des zweiten Konferenztages: Das bereits 2007 in Cannes ausgezeichnete Nike+ ist inzwischen zu beeindruckender Größe gewachsen. Und Rafi Haladijan, der Erfinder des Internethasen Nabaztag, hat einen ganz einfachen Plan:

Step 1 – Connect rabbits to the internet
Step 2 – Connect everything else

Am letzten Tag schien die Spannungskurve der PICNIC etwas abzuflachen. Der Vortrag von Gisele Hiscock, Director Business Development EMEA von Google, brachte wenig neue Erkenntnisse. Und als Werner Vogels, CTO von Amazon, zum Abschluss der Konferenz über unternehmerische Kreativität referierte, musste ich bedauerlicherweise schon zum Flughafen.

Clay Shirky und die 4 1/2 Daueraufgaben für Social Media

Clay Shirky hat nach seiner gestrigen Konversation mit Charles Leadbeater seine Keynote weggeworfen und aus den Trümmern eine neue gebaut. Oder jedenfalls sagt er das. Nach der Rede von Genevieve Bell über Secrets and Lies müssen da Zweifel erlaubt sein.

Doch einem Weltklasseredner wie Shirky traue ich durchaus zu, dass er sich fix auf sein Auditorium einstellen kann. Auf der PICNIC präsentierte er heute viereinhalb Herausforderungen, die jeder kennen sollte, der sich mit Social Media befasst.

(1) Designprobleme sind soziale Probleme

In grauer Vorzeit des Web 1.0 mag es so gewesen sein, dass (zumindest gedanklich) die Community zuerst da war und dann begann, mit Hilfe von Software etwas zu teilen: Gedanken, Fotos, Videos – was auch immer. Heute ist es umgekehrt. Im Zeitalter des Web 2.0 kann jede URL ihre eigene Community werden.

Shirky illustriert diese These am Beispiel von flickr. Dort kann es passieren, dass aus der Diskussion um ein einziges Bild ein ganzes Tutorium über ein fotografisches Spezialgebiet wächst. Dort bilden Freunde der Schwarzweißfotografie eine Gruppe, die sich strenge Regeln gegeben hat: Jeder, der dort ein Foto publiziert, muss sofort die beiden Fotos davor kommentieren.

Nicht flickr ist die Community, sondern die Freunde der Schwarzweißfotografie auf Twitter. Und sie geben sich ihre Regeln selbst, kontrollieren die Einhaltung und entwickeln die Regeln weiter. Softwaredesign kann da wenig beitragen – außer nicht im Wege zu stehen. Was gar nicht so wenig ist.

(2) Weniger Features sind mehr

Social Software ist die einzige Softwarekategorie, in der spätere Produkte weniger Features haben als frühere. Mit einem simplen Tool wie Blogger wird heute mehr im Web publiziert als mit den hochgezüchteten Contentmanagementsystemen dieser Welt. Twitter hatte beim Start zwei Features, heute sind es sechs.

Bronze Beta ist eine von Fans der TV-Serie Buffy selbst getragene Website, die praktisch gar keine Features hat – aber dafür einen umfangreichen Satz an Regeln.

(3) Es gibt nicht den Nutzer

In Social Media gibt es eine Normalverteilung mit wenigen, sehr aktiven und vielen, wenig aktiven Nutzern. Die Grafik sieht aus wie der berühmte Long Tail. Und die beiden Nutzergruppen unterscheiden sich erheblich.

In der Wikipedia sind mittlerweile Schutzmechanismen eingebaut, mit denen sich die wenigen Aktiven gegen häufig wiederkehrenden Missbrauch der vielen Eintagsfliegen wehren können. Mehr und mehr Artikel können nicht mehr von jedem dahergelaufenen Vandalen bearbeitet werden. Es ist die gute, alte 80/20-Regel, die hier wieder einmal gilt.

Wie überhaupt in die Wikipedia mit der Realität, die sie abbilden soll, auch die Konflikte dieser Realität einwandern: Der Artikel über Pluto hat einen enormen Überarbeitungsschub erlebt, nachdem Pluto aus der Liste der Planeten gestrichen wurde. Und bei Galileo Galilei wurde ein bald 500-jähriger flame war ausgetragen, der mit der katholischen Kirche zu tun hat.

(3.5) Auch Designprobleme werden global

Der Künstler Aaron Koblin hat den Mechanical Turk von Amazon dafür verwendet, eine 100-Dollar-Note in zehntausend Elementen für jeweils einen Cent kopieren zu lassen. Das Internet macht es möglich, auf globaler Ebene zusammenzuarbeiten. Damit gibt es auch Designprobleme von nie gekannter Größe.

You could say that Aaron had 10,000 people working for him as in a way he did – he only payed them a penny – but they were working to collaborate with him and each other. If this were a real company then that would put him high up the list of employers with a large staff. The largest groups in the world that are working collaboratively are working like this.
What we are seeing now is spontaneous conditions of labour springing up. The Division of labour is spontaneous and there is a spontaneous division of motivation. No-one who runs a large company with a management structure cannot understand this. [aufgezeichnet von Lucy Hooberman]

(4) Veröffentlichen, um zu handeln

Die britische Bank HSBC holte sich eine blutige Nase, als sie Studenten erst zinsfreie Überziehungskredite anbot und dieses Angebot einige Zeit später zurückzog. Die Studenten fühlten sich betrogen und nutzten Facebook, um Druck zu machen. Die Bank musste einlenken.

Beispiele dieser Art gibt es zuhauf, aber immer dreht es sich darum, irgendetwas zu stoppen. Wie sieht es mit gemeinschaftlichem, kreativen Handeln aus, wenn es nicht darum geht, irgendetwas zu verhindern? Handeln ist der schwierigste Teil der globalen Zusammenarbeit. Das leuchtet jedem ein, der Getting Things Done gelesen oder schon einmal einen G8-Gipfel genauer angesehen hat.

Felsbrocken und Kiesel

Charles Leadbeater (We Think) hat eine treffende Metapher für den Unterschied zwischen den alten und den neuen Medien: Die alte Medienlandschaft ist war wie ein mit Felsbrocken übersäter Strand, die heutige ähnelt eher einer steigenden Flut von Kielsteinen.

The traditional media landscape is like a beach with boulders, the BBC boulder, the News Corp boulder; some sometimes join to create even biggest boulders. Now the beach is a rising tide of pebbles, and many people are coming and dropping their pebble on the beach: basically we are all in the pebble business now. The models of the future are about how we link these pebbles together to create added value, to create something that it’s more than a loose assembly. Can we match a growing capacity to participate, to contribute, with our ability to collaborate, to build, to make more complex and durable products? [aufgezeichnet von Bruno Giussani]

Leadbeater, ein ehemaliger Berater von Tony Blair, eröffnete heute die PICNIC mit einer völlig ohne Folien in freier Rede vorgetragenen Keynote über Collaborative Creativity, das Thema der diesjährigen Konferenz. Ein breites Thema.

It not just applies to high tech, new media, and culture, but also to social challenges – like the environment. Collaborative action is not just about new things, but about very broad challenges. We’ll have to bring different people together. [aufgezeichnet von Ernst-Jan Pfauth]

Nicht jede Art der Zusammenarbeit führt jedoch zur Kreativität. Es kann zu viel Konsens geben – das Resultat ist Langeweile – oder zu viel Chaos – was zu keinem Ergebnis führt. Leadbeater nennt fünf entscheidende Bedingungen für kollaborative Kreativität:

  • Diversity is king, participants need to think differently and have different knowledge.
  • Give people ways to contribute. They need really simple ways to add their piece of information.
  • Connect people with each other by using the most suitable technology
  • The most important one: participants must have a shared sense of purpose and an individual sense of pay-off. Use a mascot or something.
  • Communities need to have some element of structure to make decisions.
  • [aufgezeichnet von Ernst-Jan Pfauth]

Am Ende seiner Rede spricht Leadbeater eine Frage an, die auf geheimnisvolle Weise im Herbst 2008 wieder aktuell geworden zu sein scheint. Ist das alles von Dauer? Oder übernehmen die Kräfte der Beharrung irgendwann wieder die Macht? In den Redaktionen führender deutscher Tagezeitungen scheint die Hoffnung noch nicht ausgestorben, das Internet werde irgendwie schon wieder verschwinden.

Is the Internet going to be this brief moment of collaboration, a weird, wacky moment where people want to share? Or is this a permanent change? Leadbeater closes by referencing Sir Tim Berners Lee, who was recently asked whether our social ambitions were too grand for the web. He offers the advice, the danger is not that we ask too much of the internet, but that we ask too little. [aufgezeichnet von Ethan Zuckerman]

Community Summit, Webfuture Award und Educamp

Morgen beginnt in Amsterdam die PICNIC. Fischmarktleser haben heute noch die Chance, sich einen 10-prozentigen Rabatt auf den Ticketpreis zu sichern. Auf drei weitere Ereignisse der nächsten Wochen möchte ich heute gern hinweisen.

  • Vom 30. September bis 1. Oktober findet in Hamburg der Community Summit 2008 statt. Kernthema sind die organisatorischen und operationalen Fragen beim Community-Management. Unter den Referenten: Jörg Blumtritt (Burda Community Network), Felix Petersen (Plazes), Marco Ripanti (ekaabo) und Stephan Uhrenbacher (Qype). Mit dem Code MR-200 wird das Ticket gleich 200 Euro günstiger.
  • Am 30. September endet die Bewerbungsfrist für den Webfuture Award von Hamburg@work. Gesucht werden innovative Ideen von Existenzgründern, kleinen und mittelständischen Unternehmen aus Hamburg und der Metropolregion zum Thema E-Commerce, Web 2.0 & Social Communities. Für den 1. Platz gibt es 15.000 Euro Preisgeld. Die Preisverleihung findet am 19. November statt.
  • Vom 10. bis 12. Oktober findet in Berlin das zweite Educamp statt. Schwerpunkte sind E-Learning und die Nutzung der Web-2.0-Anwendungen in der Schul- und Hochschulbildung. Das Educamp bietet ein Forum für Unternehmer, Professoren, Lehrer und Studenten.

Ein PICNIC gefällig?


Die OMD ist gerade überstanden, da steht schon das nächste Ereignis ins Haus: Am Mittwoch beginnt in Amsterdam die PICNIC. Ich war im letzten Jahr dort und kann die Konferenz nur wärmstens weiterempfehlen.
Deshalb freut es mich auch ganz besonders, dass ich den Fischmarktlesern einen speziellen Discountcode anbieten kann. Mit dem Code 272127 erhalten Sie immerhin 10 Prozent Nachlass auf den Ticketpreis (und ich ein Freiticket im Falle einer Buchung, das soll nicht verschwiegen werden).
Im letzten Jahr hatte mir vor allem eine Keynote von David Weinberger und die anschließende Debatte mit Andrew Keene zugesagt. In diesem Jahr freue ich mich besonders auf Charles Leadbeater (We Think) und Clay Shirky (Here Comes Everybody), die am Mittwoch die PICNIC eröffnen werden.
Besonders spannend wird es auch am Freitagnachmittag, wenn Gisel Hiscock, Director Business Development EMEA von Google sprechen wird: „What will Google do?“
Die Sprecherliste der PICNIC kann sich definitiv sehen lassen, die Westergasfabriek ist ein großartiger Veranstaltungsort und Amsterdam ohnehin eine attraktive Stadt. Sehen wir uns dort?