„Facebook macht alles richtig“

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Universität Mannheim, 19 Uhr, der Hörsaal ist voll, 200 Studenten warten auf Ehssan Dariani, Gründer und Ex-Chef von StudiVZ, Deutschlands mitgliederstärkstem Social Network. Dariani ist über die Webszene hinaus bekannt, 2006 sorgte nicht nur sein Unternehmen, sondern auch er persönlich, für einige Aufmerksamkeit mit einer … sagen wir … etwas ungeschickten Außendarstellung. Doch das ist lange her, Dariani längst nicht mehr bei StudiVZ aktiv und aus der Öffentlichkeit verschwunden.

„Ehssan hat seinen Flug verpasst und wird frühestens in einer halben Stunde hier sein.“ Unruhe im Saal, die ersten stehen auf und gehen. Um mich herum eine latente Abneigung gegen StudiVZ und den noch nicht eingetroffenen Redner.

Als er um halb acht kommt, ist der Hörsaal wieder bis auf den letzten Platz gefüllt und er legt gleich los – überraschend witzig, authentisch, selbstironisch, sympathisch. Er erzählt von den Anfängen bei StudiVZ, wie er in Berlin auf dem Sofa eines Bekannten die Nächte und in Cafes mit freiem WLAN die Tage verbringt. Mit einem Versuch, Kosmetik für Männer an den Mann zu bringen, sei er gnadenlos gescheitert und von StudiVZ wollte auch niemand was wissen. Doch dann hätten ihm Lukasz Gadowski und Matthias Spieß, die beiden Spreadshirt-Gründer, 10.000 Euro für einen Zehn-Prozent-Anteil an StudiVZ gegeben.

Erheiterung im Saal, als er berichtet, dass er zwar in den zwei Jahren bei StudiVZ mehr Geld verdient habe, als die meisten in ihrem ganzen Leben, aber immer noch kein Auto besitze – und wieder, als er erzählt, dass er nicht mit Excel umgehen könne, völlig unstrukturiert sei, „ein typischer ADHS-Fall, total hyperaktiv, aber auch sehr kreativ.“

Man merkt, dass er es eilig hat, er springt geradezu von einem Punkt zum nächsten: SchülerVZ, das „StudiVZ für Schüler“ habe den großen Bruder zwar an Page Impressions mittlerweile überholt, aber nicht an Visits: „Da sind halt die ganzen Teenies und klicken den ganzen Tag rum.“ Oder: „Leute in großen Konzernen sind alles Bürokraten.“ Später: „Wenn man ein gewisses Geltungsbedürfnis hat, so wie ich …“

Er lüftet das Geheimnis, wie die Farben der Plattformen zustande kamen: das Rot von StudiVZ sei dem Zufall und der Rot-Grün-Blindheit eines Bekannten geschuldet, das Magenta Pink bei SchülerVZ habe man bewusst gewählt, in der Hoffnung von einem großen deutschen Konzern verklagt zu werden und damit Aufmerksamkeit zu erregen. Aber die Konzerne bewegen sich halt sehr langsam, fügt er enttäuscht hinzu. Seinen Missmut über das derzeitige Management bei StudiVZ kann er immer wieder nur schwer unterdrücken – so auch als er bezweifelt, dass MeinVZ Erfolg haben wird („Ich hätte das so nicht gemacht.“)

Später wird er gefragt, warum Holtzbrinck so viel Geld für StudiVZ ausgegeben habe und kommt zu der steilen These: „Bevor die StudiVZ gekauft haben, kannte doch niemand Holtzbrinck.“ Was er zur Öffnung von Social Networks meine, so wie „zum Beispiel Facebook Anwendungen von Drittanbietern ermöglicht, StudiVZ da aber noch zögert“ wird er gefragt. Dazu hat er eine überraschend klare Meinung, für die er nicht nachdenken muss: „Facebook macht alles richtig. StudiVZ …“ – er kommt ins Stocken – „… noch jemand eine Frage?“

Nach fünfzig Minuten muss er los, „den letzten Flieger nach Berlin kriegen“ – das Auditorium applaudiert, die Mädels in der Reihe hinter mir, die am Anfang noch über Dariani lästerten, sind sich einig: „Der ist ja eigentlich total nett.“

WLAN als neue Form der Wegelagerei

Sichere Verkehrswege sind keine Errungenschaft der Moderne, sondern gehören seit jeher zu den vornehmsten Aufgaben des Staates und der Herrschenden. Auf Straßen, Bahnhöfen und Flughäfen lauern auch heute zwar gelegentlich finstere Gestalten auf Opfer, aber die klassische Wegelagerei ist ein im Verhältnis zur gewaltigen Zahl der Reisenden fast ausgestorbenes Gewerbe.
Zweifelhafte Gesellen finden jedoch neue Wege, ihre Opfer auszuplündern. Einer davon nennt sich Hotspot oder auch öffentliches WLAN. Das Internet ist auf dem Weg zum Massengut wie zuvor Wasser, Strom und Telefon. Das hindert die ehemaligen Telekommunikationsmonopolisten nicht daran, ihr WLAN zu völlig überzogenen Preisen anzubieten.
Das Amsterdamer Hotel, in dem ich vergangene Woche eine Nacht verbracht habe, hat ein WLAN von T-Mobile. Wie es sich so trifft, ist mein E61i ebenfalls mit einer Karte von T-Mobile ausgestattet. Wie sieht nun das Kundenerlebnis aus, wenn ich den Hotspot nutzen möchte?
Zunächst muss ich eine Kurznachricht mit einem Kennwort an eine bestimmte Kurzwahl senden. Danach erhalte ich Benutzername und Kennwort per SMS zurück. Damit kann ich mich nun über WLAN und ein Webinterface anmelden. Und anschließend tickt eine Uhr.
Wie in längst vergangen geglaubten Zeiten muss ich nun darauf achten, wie lange ich mit dem Netz verbunden bin. Denn jede Minute kostet, und das nicht zu knapp. Ich habe offensichtlich den falschen Tarif.
Aber dennoch – was soll dieser Rückfall in das Internetpräkambrium? So kann doch niemand sinnvoll mit dem Netz arbeiten. Das kostet Nerven und Geld, das Kundenerlebnis ist alles andere als befriedigend. Der Hotspot kann sich nicht einmal meinen Rechner merken, ich muss dauernd wieder Benutzername und Kennwort eingeben.
Nicht viel besser sieht es am Flughafen Schiphol aus. Der ist zwar mit einem WLAN des ehemaligen Staatsmonopolisten KPN ausgestattet, aber ohne einen vorher erworbenen Zugangscode geht gar nichts. Ganz zu schweigen vom Preis: 6 EUR für 30 Minuten.
Ein kurzer Vergleich. Für einen Festpreis von etwas über 40 Euro im Monat bekomme ich ISDN- und DSL-Anschluss mit allen Festnetztelefonaten und sämtlichem Internetverkehr. Und was ich so höre, soll das andernorts durchaus noch günstiger sein. Bei KPN könnte ich für das Geld dreieinhalb Stunden am Flughafen warten, mit Internet. Immerhin.

Startups für das nächste Web

Eine geballte Ladung Gründergeist und etliche Startups präsentiert heute und morgen die Next Web Conference in Amsterdam. Welche von ihnen haben das Potential, das nächste Web zu prägen? Meine persönliche Auswahl:

fav.or.it

RSS ist für den Techie kein Problem, aber
für die ungewaschenen Massen? Da braucht es andere Lösungen, um den stetigen Fluss der Neuigkeiten und Gespräche aus dem Web zu holen. Eine davon könnte fav.or.it sein.

twingly

Gerade in die geschlossene Betaphase gestartet ist die Blogsuchmaschine der nächsten Generation. Auf der Next Web gab es heute Einladungen zum Test. Ich werde twingly testen und berichten.

radionomy

Der Name erinnert an Autonomie, und entsprechend revolutionär gibt sich Yves Baudechon, der heute eine der besten Startup-Präsentationen gab. Er hat nicht weniger vor als eine Revolution für das Radio – wie YouTube Video revolutioniert hat.

Rummble

Andrew Scott hat mir heute Rummble erklärt: ein personalisierter, mobiler Reiseführer, geschrieben von meinen Freunden und deren Freunden. Rummble sagt mir, was in meiner Nähe liegt und was ich mögen werde. Ein Qype der nächsten Generation?

Twine

Nova Spivack hielt heute die für mich spannendste Keynote über das sonst eher zum Gähnen reizende Thema Semantic Web. Mit seinem Projekt Twine, bis jetzt nur auf Einladung zugänglich, will er das semantische Web in der Praxis voranbringen.

Mehr von der Next Web

work 2.0 – selbst- oder fremdbestimmt?

„Wie schön, dass ich so viele Möglichkeiten habe! Ich darf jeden Tag etwas dazulernen und kann mich mit meinen Projekten und Kunden zusammen weiterentwickeln! Ich habe alles selbst in der Hand.“

„So toll finde ich das nicht: Immer muss ich flexibel sein. Ständig ändert sich alles und ich muss weiter dazu lernen, sonst ist mein Know-how morgen nichts mehr wert. Und wer sagt mir, wo es lang geht?“

Zwei Sichtweisen auf dieselbe Situation. Was wir heute als work 2.0 bezeichnen, nämlich die Eigenverantwortung des Einzelnen für seine berufliche Entwicklung, ist gerade bei Freelancern und vielen Agenturen besonders gut zu beobachten: Sie stellen sich den veränderten Anforderungen, anstatt nach der guten alten Zeit zu rufen.

work 2.0 geht deutlich weiter als das IKEA-Prinzip, nach dem einfach standardisierte Bauteile zusammenfügt werden. Obwohl: IKEA hat auch aufgehört, passende Schrauben dazuzulegen, mit der Begründung, es gäbe so viele unterschiedliche Wände. Stimmt ja auch.

In der Arbeitswelt ist es nämlich so, dass es eine immer größere Vielfalt von Anforderungen gibt. Und weil die Vielfalt immer größer wird, kann man irgendwann nicht mehr von Standards sprechen. Erste und oberste Anforderung ist dann: Wandlungsfähigkeit, also lernfähig, wach und neugierig zu bleiben.

Alte Strukturen ächzen

Die Gewinner von work 2.0 werden diejenigen sein, die unternehmerische Eigenschaften mitbringen. Man muss seine Bildung selbst organisieren, seine Aufträge, seine Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Multiplikatoren – alles möglichst professionell und konkret. Man produziert sich selbst (als wer auch immer), inklusive Qualitätskontrolle (wenn man schlau ist), denn das Feedback vom Markt kommt schnell und direkt.

Analog zu web 2.0 sieht man auch in der heutigen Arbeitswelt, wie die alten, zentralen Strukturen ächzen und viele hilflos fordern, dass flexible Arbeitsformen wie z. B. Zeitarbeit wieder abgeschafft werden. Gewerkschaften sind da ganz groß, aber auch die Politik nutzt das Vehikel gern, um Ängste zu schüren. Kein Mensch scheint sich für die Chancen zu interessieren, die flexibles Arbeiten mit sich bringt.

Die kreative Klasse

Allerdings: Die viel besungene kreative Klasse hat das längst verstanden. Und sie wächst. Es gibt sogar eine Theorie über sie, wie Wikipedia verrät. Sie sind es, die Innovationen vorantreiben. Viele arbeiten in Agenturen oder sind in der Technologie oder Beratung tätig. Als Einzelne, Teams, Sozietäten, Bürogemeinschaften. Oft mit zwei bis vier Visitenkarten im Gepäck.

Und: Es sind keine verschrobenen Erfinder und Künstler, vielmehr moderne Dienstleister, die jederzeit den Wert ihrer Arbeit für den jeweiligen Kunden im Blick haben. Die Anzahl derer, die dieser kreativen Klasse zugeordnet werden, bestimmen vermutlich früher oder später Wirtschaftspotenzial und somit den Wohlstand einer Gesellschaft. Zum Beispiel unserer.

Vielleicht sollte man sich mal darum kümmern?

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Christiane Strasse ist Gründerin und Geschäftsführerin von projektwerk. Sie beschäftigt sich seit über 10 Jahren mit der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und gründete projektwerk 1999 als Plattform für die Akteure dieses Marktes. projektwerk ist Sponsor der next08.