Begriffliche Leere

„Die Content-Falle. Journalismus in der digitalen Medienwelt“ nennt der Kommunikationswissenschaftler Thomas Schnedler von der Hamburger Universität eine Studie (dpa berichtete), die er für den morgigen heute beginnenden Mainzer Medien-Disput angefertigt hat.

Schnedler kritisiert in seiner Studie den nichts sagenden Begriff «Content», der für Inhalte jedweder Art stehe: «Die einen meinen solide recherchierte Artikel, professionelle Hörfunkbeiträge und aufwendige Fernsehreportagen, andere denken auch an Klingeltöne, Amateurvideos, Download-Spiele, PR-Meldungen oder Musikfiles.» Oft gedankenlos werde ein Begriff gebraucht, der den Unterschied zwischen seriöser Information auf der einen Seite und Kommerz und Amateurprodukt auf der anderen Seite verschleiere.

Enzensberger hat 1988 das Fernsehen als Nullmedium bezeichnet. Dass die TV-Sender Selbstmord aus Angst vor dem Tode begehen würden und ihr eigenes Programm mit einem begrifflichen Vakuum namens „Content“ beschreiben würden, konnte er da noch nicht wissen. Insoweit bin ich mit der Schnedlerschen Analyse einverstanden.

Mit der dichotomischen Unterscheidung zwischen seriöser Information einerseits und Kommerz/Amateurprodukt andererseits liegt er indes schwer daneben. Seriöse Information kann auch Kommerz oder Amateurprodukt sein. Die Unterscheidung hilft keinen Milimeter weiter.

Da fällt mir ein: Wahrscheinlich Womöglich stammt die Unterscheidung gar nicht von Schnedler, sondern vom seriösen dpa-Autor.

Der große Denkfehler

Der Niedergang der traditionellen Medienhäuser begann sich genau in jenem Moment dramatisch zu verschärfen, als sie damit anfingen, von ihrem Produkt in leeren Metaphern zu sprechen. Was, bitte, sind Inhalte, gern auch als Content bezeichnet?

  1. Wofür steht der Plural? Für Vielfalt? Für Austauschbarkeit?
  2. Was ist das Gefäß oder die Verpackung? Ein Bitstrom? Ein On-Air-Design? Ein Stapel Papier? Ein Format?
  3. Wie lassen sich „Inhalte“ umverpacken? Sind sie flüssig oder fest (oder gasförmig)?
  4. Kann man sie beliebig vermehren oder kopieren?

Die Rede von Inhalten verkennt, dass Medien meistens nichts anderes verkaufen können als sich selbst. Für eine Zeitung mag ich bereit sein, einen Euro fünfzig zu zahlen – ein einzelner Artikel ist wertlos (außer in Spezialfällen wie der gewerblichen Archivnutzung, Genios lässt grüßen). Das frei empfangbare Fernsehen mag Gebühren kosten – für einzelne Sendungen zahlt kein Mensch (außer in Spezialfällen wie der DVD-Nachnutzung).

Medienmarken können Zusatzgeschäfte tragen (siehe die SZ-Editionen und die Mediathek). Aber die Zusatzgeschäfte können kein absterbendes Stammgeschäft kompensieren. Irgendwann stirbt auch die Medienmarke.

Unter dem großen Denkfehler, der sich hinter dem kleinen Wort Inhalte verbirgt, leidet auch der ansonsten kluge Kommentar von Lutz Meier in der heutigen FTD (nicht online – womit ein Teil des Problems schon illustriert wäre). Die entscheidende Passage:

Fast alle Medienhäuser kommen von der Publizistik. Erst später sind sie zu Zwittern geworden: Einerseits ist es ihr Geschäft, dem Publikum unverzichtbare Inhalte zu versprechen und dafür Geld zu verlangen. Zugleich leben sie davon, mit den Inhalten Zielgruppen zu gewinnen, um sie an Werbekunden zu verkaufen. Dieses Zwitterdasein führt angesichts der digitalen Revolution in die Identitätskrise. Medienhäuser müssen sich deshalb überlegen, wofür sie da sind: Sind sie zuerst Aufmerksamkeitsaggregatoren, die eine Marktposition im Werbegeschäft brauchen? Oder ist es ihre Existenzgrundlage, Information und Unterhaltung so zu sammeln, ordnen und aufzubereiten, dass sie für das Publikum einen Wert darstellen?

Im ersten Fall bliebe nichts anderes übrig, als die Konfrontation mit Google und Ebay zu suchen, um diesen in Sachen Aufmerksamkeitsökonomie überlegen zu werden. Das ist teuer und risikoreich. Und es wäre ehrlich zu sagen, dass es dazu führen kann, dass Redaktionen überflüssig werden und die Verlässlichkeit von Information zum relativen Wert.

Für andere – gerade traditionelle Printhäuser – kann der zweite Weg lohnender sein. Auch dann bedeutet die digitale Entwicklung Umdenken. Druckerzeugnisse in ihrer jetzigen Form haben keine große Zukunft. Die Medien müssen also mit ihren Inhalten auf digitale Plattformen. Dort konkurrieren sie direkt mit dem, was freischwebende Medienproduzenten bieten, etwa Blogs, und auch mit kostenlosen Seiten. Der Mehrwert der gebotenen Information muss demnach unmittelbar erkennbar sein. Wie dieser dann zu Geld gemacht wird, ist erst die zweite Aufgabe.

Die letzten beiden Sätze jedenfalls treffen den Nagel auf den Kopf.

Goldrausch, Skandale, Güterslow

Constantin Gillies schreibt in der WamS über den zweiten Goldrausch im Internet. Bevor jemand schreit, er bringe für den Web-2.0-Experten wenig Neues – das ist auch nicht sein Job. Die Geschichte muss für den WamS-Leser und dessen Vorverständnis tauglich sein.

Ihr Anlass ist natürlich GoogleTube, außerdem haben u.a. das Aal-Prinzip, Qype, MySpace, Xing/OpenBC und Plazes nebst einigen Analysten und Unternehmensberatern ihren Auftritt. Und Gillies benennt einen wichtigen Unterschied zur Bubble 1.0:

Hinzu kommt, dass Werbung im Internet im Gegensatz zum Jahr 2000 längst Bestandteil jedes Marketingkonzepts geworden ist. Allein in Amerika werden in diesem Jahr rund 20 Milliarden Dollar für Netzreklame ausgegeben.

Die Werbeeinnahmen dürften also ausreichen, um die neue Webwirtschaft am Laufen zu halten. Wahrscheinlich aber nur für wenige Anbieter.

Holger Schmidt befasst sich in der FAZ mit der Blog-Rangliste von Technorati und Edelman. Und – Skandal, Skandal! – er lässt das grobe Geschrei wie auch die präzise Kritik in der Blogosphäre komplett außen vor.

Bildblog, Spreeblick und Basic Thinking sind die Blogs mit dem größten Einfluß in Deutschland.

Na, das deckt sich doch mit den deutschen blogcharts

Technorati-Chairman Peter Hirshberg stellt Deutschland kein gutes Zeugnis aus:

„Deutschlands hinkt Amerika in Sachen Blogs um einige Jahre hinterher. In Amerika ist der Einfluß der Blogs auf die Kommunikation der Unternehmen schon viel größer als hier. Dort suchen die Öffentlichkeitsarbeiter das Gespräch mit Bloggern genauso wie mit Journalisten. Außerdem nutzen die Marktforscher die Blogs, um die Meinung ihrer Kunden ungefiltert zu erfahren.“

Mag auch einfach daran liegen, dass die deutsche Bloggerszene um einige Jahre hinterherhinkt…

Das Projekt BertelSpace beschäftigt natürlich auch die Blogwirtschaft. Alles, was dazu zu sagen ist, hat Nico Lumma gleich am Sonnabend gesagt:

Wir nähern uns dem Ende des Jahres 2006 und sogar Bertelsmann denkt schon über einen deutschen MySpace-Clone nach? Wow, das wird anständig in die Hose gehen.

Lange wurde gepennt in Güterslow und nun wird mal so richtig gezeigt, wie man User-generated Content in diesem Internetz macht. Ich sehe jetzt schon die ganzen aufgeregten Beratherhorden, die ein Web 2.0 Buch bestellen und schon mal ihre Texte üben. Heraus kommt dann irgendwas, was auf alle Kanälen beworben wird und ungefähr so spannend wie t-community oder AOL Hometown.

Wann soll das rauskommen? Ich kann vor Aufregung kaum schlafen.

Wie gerufen kommt da diese Überschrift in der heutigen FTD: Verlagen fehlt passende Web-Strategie

Die Erosion des Zeitungsgeschäfts durch die wachsende Internetkonkurrenz macht Großverlage und Medieninvestoren in den USA zunehmend nervös. Viele Verlage stellen ihre Geschäftsmodelle in Frage. […] In den vorigen zwei Jahren haben die Verlage zunehmend die Konkurrenz aus dem Internet zu spüren bekommen. „Die Auflagen sinken, und die Anzeigenerlöse schwächen sich ab“, sagte Jennifer Saba vom Branchenblatt „Editor & Publisher“. Derzeit entfielen zwar erst fünf bis zehn Prozent des traditionellen Verlagsumsatzes auf das Onlinegeschäft, mittelfristig werde dieser Anteil aber auf 50 Prozent steigen.

Web vs. ZDF

Als „Wetten, dass“ heute in den letzten Zügen lag, hatte Peter Turi im Spiegel vom kommenden Montag (2. Oktober) eine Preziose entdeckt. Die lapidare Meldung gibt einen kleinen Vorgeschmack darauf, was den alten Medien noch so alles blühen wird. (Und die Turi-Kinder sitzen nebenbei am Rechner, so wie ich heute auch.)