Wie fördert man eine Rollifahrer-Website?

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Diese Frage stelle ich mir schon lange, und jetzt stelle ich sie mal laut. Hallo Fachpublikum! Es gibt da eine Website, die heißt Startrampe.net und ist eine Informations- und Kommunikations-Plattform für Rollstuhlfahrer und Querschnittgelähmte. Und sie ist wirklich ein Phänomen – seit 1999 (!) läuft sie und läuft und läuft. Bis 2001 von einer Agentur betreut, seit Agentur-Crash ging es ehrenamtlich weiter, sogar ein Komplett-Relaunch wurde 2005 irgendwie gewuppt. Dennoch können die Macher von Startrampe.net Rat gebrauchen, doch dazu später.
Herzstück ist die Community, quasi das Lebenselixier vieler Rollifahrer, die dort Tipps austauschen, Freundschaften schließen, Hochzeiten gabs auch schon. Und alle Ups and Downs, die eine Community in der langen Zeit so haben kann. Das Ganze hat die kritische Masse von aktuell 4.350 virtuellen Mitgliedern erreicht, jeden Tag melden sich neue Leute an. Im zweiten Quartal 2007 gab es ca. 180.000 Visits bei ca. 1,4 Mio. Page-Impressions, und damit ist Startrampe.net das erfolgreichste Internet-Angebot für Querschnittgelähmte im deutschsprachigen Raum.
Es gibt ehrgeizige Ausbaupläne und gute Kontakte in die Querschnitt-Szene, z.B. sollen unter dem Namen „Arbeitsgemeinschaft Querschnittlähmung“ alle wichtigen Organisationen unter einer Internetadresse auffindbar sein. Bisher sind der Deutsche Rollstuhl-Sportverband, die Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten und die Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegie (neu) dabei.
Und wo liegt jetzt das Problem? Das Projekt läuft, aber bei genauerer Betrachtung wird doch nur das Notwendigste geschafft, um es am Leben zu halten. Wachsen kann es nicht ohne weitere redaktionelle/communitymanagende/technische Manpower. Wie finanziert man die? Und wir reden hier nicht von Spenden, sondern von Zusammenarbeit.
Hat das Projekt Potenzial? Wie findet man geneigte Sponsoren oder Werbe-Kooperationen für Startrampe.net? Es kann doch nicht sein, dass da gar nichts geht. Rollstuhlfahrer sind eine attraktive, weil äußerst internetaffine und aktive Zielgruppe. Sie sind zwar oft auf fremde Hilfe angewiesen, soziale Kontakte sind bei vielen rar – aber sie können am Computer arbeiten, und das gilt auch für hochgelähmte und beatmungspflichtige Leute, die mit Sprachsteuerung, behindertenfreundlicher Soft- und Hardware und einem bunten Strauß an Hilfsmitteln unterwegs sind.
So, und jetzt mal Butter bei die Fische. Die Fischmarkt-Leserschaft ist vom Fach, also wer fühlt sich inspiriert, Ratschläge zu erteilen?

Absturz unvermeidlich

Maurice Lévy, Publicis
Auch Gerade Werber sind nicht gegen neue Einsichten gefeit. Publicis-Chef Maurice Lévy hat kürzlich für 1,3 Milliarden Dollar die Interactive-Agentur Digitas übernommen. Jetzt schlägt er in einem von der BusinessNews (Ausgabe vom 12 Februar) zweitverwerteten Interview mit der Wirtschaftswoche Töne an, die bei uns die Herzen verschiedener Ressorts höher schlagen lassen.

Mark „Online Conversations“ Pohlmann freut sich über diese Passage:

In der Tat verstehen Verbraucher heute mehr und mehr die Mechanismen des Marketings. Wenn wir künftig nicht als Eindringlinge empfunden werden wollen, ist intelligentere, humorvollere Ansprache gefragt.

Was heißt das für die Zukunft der Mediengesellschaft?

Verbraucher sind nicht mehr bloß passive Empfänger von Produkten oder Nachrichten, die ihnen andere, vermeintlich bestens informierte Experten vorsetzen können. Der Wissensvorsprung der bisherigen Infoelite schrumpft drastisch, Zeitungsleser, Radiohörer, Fernsehzuschauer, Internetnutzer werden selbst zu Meinungsführern.

Was bedeutet das für Industrie und Werbeagenturen?

Wir werden völlig anders auf die Verbraucher zugehen: nicht einbahnstraßenartig zu ihnen sprechen, sondern ein Gespräch eröffnen, wenn unsere Botschaften sie erreichen sollen. Das wird immer schwieriger.

Bei den Absendern des Mediabriefes kommt bei den folgenden Sätzen Begeisterung auf:

Wo also liegt die Zukunft der Werbung?

Ich bin kein Hellseher, aber es ist gut vorstellbar, dass traditionelle Print- und TV-Werbung in einer Welt der digitalen und mobilen Medien keinen Platz mehr hat – vor allem, weil man im Internet die Wirksamkeit viel besser messen kann. 2010 werden zehn Prozent der weltweiten Werbeinvestitionen im Internet generiert. Wir selbst wollen in fünf Jahren 25 Prozent mit Internet- und anderen Spezialagenturen umsetzen.

In der Wiwo steht noch mehr:

Sterben TV-Spots und Printanzeigen aus?

Ach, das Fernsehen ist schon zu oft tot gesagt worden. Kurzfristig wird sich nicht viel verändern, aber in vielleicht 15 bis 20 Jahren sicher. Die Situation der TV-Werbung ähnelt immer mehr diesen Szenen aus Zeichentrickfilmen: Ein Hund läuft mit Karacho auf den Abgrund zu, bis über die Felskante hinaus, rennt und rennt – und merkt erst, wenn er schon in der Luft hängt, dass der Absturz unvermeidlich ist.

Schönes Bild. [via iBusiness]

Gefährlicher Glaube

Spiegel-Gespräch mit Jaron Lanier (Ausriss)

Zwar etwas kurzfristig, aber sei es drum: Am Donnerstag findet das 2. Dresdner Zukunftsforum statt. Der prominenteste Sprecher ist Tim O’Reilly. Doch den größten PR-Coup haben die Veranstalter mit Jaron Lanier gelandet, der gestern im Spiegel vor dem gefährlichen Glauben an die Weisheit der Massen warnte.

Derzeit wird die Vorstellung immer populärer, das Kollektiv könne nicht nur Zahlenwerte wie einen Marktpreis ermitteln, sondern verfüge als eine – gern Schwarmgeist genannte – höhere Intelligenz über eigene Ideen, ja sogar über eine überlegene Meinung. Eine solche Denkweise hat in der Geschichte schon mehrfach zu sozialen und politischen Verheerungen geführt. Mir bereitet die Vision Sorgen, nur das große Ganze, das Kollektiv sei real und wichtig – nicht aber der einzelne Mensch. Das war der Fehler in allen totalitären Ideologien, vom Nazi-Regime über Pol Pot bis zu den Islamisten.

Das Interview hat völlig zu Unrecht bislang kaum Verbreitung in deutschsprachigen Blogs gefunden. Bis dato hat es neben dem Veranstalter-Blog selbst nur das Bildblog (!) erwähnt. (Was daran liegen könnte, dass der Text nicht im Netz verfügbar.)

Begriffliche Leere

„Die Content-Falle. Journalismus in der digitalen Medienwelt“ nennt der Kommunikationswissenschaftler Thomas Schnedler von der Hamburger Universität eine Studie (dpa berichtete), die er für den morgigen heute beginnenden Mainzer Medien-Disput angefertigt hat.

Schnedler kritisiert in seiner Studie den nichts sagenden Begriff «Content», der für Inhalte jedweder Art stehe: «Die einen meinen solide recherchierte Artikel, professionelle Hörfunkbeiträge und aufwendige Fernsehreportagen, andere denken auch an Klingeltöne, Amateurvideos, Download-Spiele, PR-Meldungen oder Musikfiles.» Oft gedankenlos werde ein Begriff gebraucht, der den Unterschied zwischen seriöser Information auf der einen Seite und Kommerz und Amateurprodukt auf der anderen Seite verschleiere.

Enzensberger hat 1988 das Fernsehen als Nullmedium bezeichnet. Dass die TV-Sender Selbstmord aus Angst vor dem Tode begehen würden und ihr eigenes Programm mit einem begrifflichen Vakuum namens „Content“ beschreiben würden, konnte er da noch nicht wissen. Insoweit bin ich mit der Schnedlerschen Analyse einverstanden.

Mit der dichotomischen Unterscheidung zwischen seriöser Information einerseits und Kommerz/Amateurprodukt andererseits liegt er indes schwer daneben. Seriöse Information kann auch Kommerz oder Amateurprodukt sein. Die Unterscheidung hilft keinen Milimeter weiter.

Da fällt mir ein: Wahrscheinlich Womöglich stammt die Unterscheidung gar nicht von Schnedler, sondern vom seriösen dpa-Autor.